Die Macht des Unbewussten: So entscheiden eure Kunden

Der Mensch, ein rein rational handelndes Wesen? Vergesst es. Wir alle werden hochgradig durch unser Unbewusstes beeinflusst. Was das für euer Marketing und eure Markenführung bedeutet, lest ihr hier.


Eisbergmodell: Menschen entscheiden mehrheitlich unbewusst.
(Eisberg / Pixabay-Lizenz – zum Vergrößern bitte in das Bild klicken)

Lange glaubte man an den "Wirtschaftsmenschen" (lat. Homo oeconomicus, auch "rationaler Agent" genannt): Der Mensch (und damit auch der Kunde) als vernünftig abwägender und entscheidender "Nutzenmaximierer", sich permanent dessen bewusst, was er warum tut (und kauft).

Weit gefehlt. Psychologie und Hirnforschung haben dieses Menschenbild schon lange abgehakt. Stattdessen glaubt die Wissenschaft zunehmend an den Homo irrationalis, den jenseits der Verstandesebene entscheidenden Menschen.

Die Macht des Unbewussten

Experten sehen es mittlerweile als bewiesen an, was bereits der alte Freud betonte (auch wenn dieser niemals das Bild eines Eisbergs dafür nutzte):
Über 90 Prozent (= Eisberg-Anteil unter der Wasseroberfläche) von allem, was wir täglich tun, erledigt unser Gehirn quasi ohne uns (= unbewusst). 
Dazu zwei Zitate:

John-Dylan Haynes (*1971), deutsch-britischer Hirnforscher:
"Man weiß [...], dass Menschen nicht gut darin sind, zu sagen, warum sie sich auf eine bestimmte Art und Weise entschieden haben. Wir handeln oft intuitiv, ganz oft können wir gar nicht die Gründe angeben, warum wir eine Entscheidung gefällt haben, und selbst wenn wir diese Gründe angeben, sind sie oft falsch, wie sich zeigt." (Quelle)

Gerhard Roth (*1942), deutscher Biologe und Hirnforscher:
"Auf unserer bewussten Ebene können wir maximal drei, [...] Faktoren miteinander verrechnen. Darüber wird eine Entscheidung qualvoll, da wir die Faktoren nicht mehr auf die Reihe kriegen. Es ist beeindruckend, wie begrenzt unser Verstand bei rationalen Entscheidungen ist." (Quelle)

Zwei Arten des Denkens

Ähnlich argumentiert der israelisch-US-amerikanische Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman (*1934), der eindrücklich darlegte, dass unser Gehirn eine – salopp formuliert – "Arbeitsvermeidungsmaschine" ist (Buchtipp: Schnelles Denken, langsames Denken).

Demnach nutzen Menschen zwei Arten des Denkens:
  • System 1: schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, verallgemeinernd, unbewusst.
  • System 2: langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst.
System 2 ist schnell erschöpft und überlässt System 1 gerne die Regie. Warum das so ist? Um das zu beantworten, müssen wir weit in der Menschheitsgeschichte zurückreisen…

...in grauer Vorzeit kämpften unsere Vorfahren täglich ums nackte Überleben. Die Säbelzahnkatze rechtzeitig wahrzunehmen und vor ihr zu fliehen, war entscheidend, hier ging es um Sekundenbruchteile, für intellektuelle Erörterungen (System 2) blieb keine Zeit.

Folglich hat sich unser Gehirn darauf eingestellt, schnell und einfach zu entscheiden, um nicht zu viel Energie zu verschwenden. Die eingesparte Energie braucht unser Oberstübchen, um in Stress-Situationen (Säbelzahnkatze auf 12 Uhr!) blitzschnell zu entscheiden und Risiken zu minimieren.

Und da die Evolution langsam vonstattengeht, ist das Gehirn des modernen Menschen immer noch so getaktet. [Randnotiz: Das erklärt auch, warum diskriminierendes und vorurteilsbehaftetes Denken leider so verbreitet ist – wer gedankenlos und verallgemeinernd urteilt, dessen Hirn arbeitet auf Dauer-Sparflamme]

Was bedeutet das für euer Marketing?

Steht jemand vor einer Kaufentscheidung, wird er/sie maßgeblich von unbewussten Motiven gesteuert. Ein Alltagsbeispiel:

Max Mustermann will sich ein neues Smartphone kaufen. Wäre Max ein rein rational handelnder "Wirtschaftsmensch", würde er ausschließlich und ausgiebig objektive Fakten abwägen: Preis, Funktionalität, Akku-Laufzeit, etc. Smartphones, die hier gut abschneiden, gibt es schon für 200 Euro. Und dennoch greifen Millionen Menschen zu einem (objektiv betrachtet) völlig überteuerten iPhone...

Warum? Weil (und das sage ich als ausdrücklicher Nicht-Apple-Fan und Android-Anhänger) Apple (genauer: Steve Jobs) seine Marke auf brillante Art emotional positiv aufblähte. Kein Mensch kauft ein iPhone aus rationalen Gründen – er/sie tut es, um sich selbst gut und "wertig" zu fühlen. Das geschieht unbewusst (Eisberg-Modell) und "denkfaul" (Kahneman-System 1).

Euer Blogger tappt vermutlich in eine ähnliche Falle: Ich gehöre zu einer weltweit zweiprozentigen Minderheit, die als Privatperson das offene Betriebssystem Linux (genauer: Ubuntu Budgie) auf ihrem Laptop nutzt.

Warum? Meine Ratio würde euch jetzt etwas erzählen von "Effizienz", "Performance" und der Abwesenheit gängiger Windows-Ärgernisse (alles zutreffend, Linux-User sind die glücklicheren Menschen). Aber vermutlich (shame on me) spielt da auch der unbewusste Wunsch mit rein, mich von der Masse abheben zu können...

Wollt ihr also mit eurem Marketing erfolgreich sein, muss es euch gelingen, mehrheitlich diese unbewussten Ebenen eurer Zielgruppe zu erobern – und erst on top mit rationalen Fakten wie Preis oder Leistung zu punkten.

Die unbewussten Strukturen eurer Zielgruppe 

Was sind nun diese unbewussten Ebenen? Einen spannenden Erklärungsansatz bieten Ralf T. Kreutzer und Karl-Heinz Land in ihrem Buch "Digitaler Darwinismus":

Menschen wollen kreativ sein und aufblühen: etwas schaffen, etwas leisten, sich entfalten.

Menschen wollen verbunden sein: sich sicher fühlen, in Beziehungen stehen, Teil von etwas Größerem sein.

Menschen wollen in ihrem Sein aufgehen: Selbstbestätigung fühlen, Daseinsberechtigung sicherstellen.

Menschen wollen frei und autonom sein: selbstbestimmt leben, Kontrolle haben, Macht ausüben.

Bleiben wir beim Beispiel Apple: Steve Jobs ist es gelungen, die Marke emotional derart aufzuladen, dass sie bei Millionen Menschen die oben genannten Dimensionen "Teil von etwas Größerem sein" und "Selbstbestätigung fühlen" perfekt bedient.

Möglicher unbewusster Gedankengang des typischen Apple-Users: "Benutze ich Apple, werte ich mich auf, weil der Glanz der Marke auf mich übergeht."

Heißt für eure Online- und Offline-Marketing-Botschaften…

...dass sie mindestens genauso stark die unbewussten und emotionalen Ebenen eurer Zielgruppen ansprechen müssen wie die Ebene Zahlen-Daten-Fakten.

Großes Potenzial bietet das Social-Media-Marketing, weil ihr hier eure Zielgruppen unmittelbar an eurer Marke teilhaben lassen könnt – was allerdings eine bereits vorhandene hochwertige Markenführung voraussetzt.

Eine Erfolgsformel gibt es nicht. Was aber hilft: Schaut euch doch mal genauer die aktuell wertvollsten Marken an – irgendetwas bei den genannten Punkten müssen sie richtig gemacht haben:
  • Apple
  • Google
  • Amazon
  • Microsoft 
Viel Erfolg bei eurer Markenführung!

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