Deutschland & die Plattform-Ökonomie: Abstieg vorprogrammiert?

Eine 2020er Studie des IT-Branchenverbandes Bitkom zeigt: Nach wie vor unterschätzen deutsche Unternehmen die Plattform-Ökonomie eklatant. Einige ausgewählte Ergebnisse auf einen Blick.


Plattform-Ökonomie: digitale Plattformen als Öko-System


Plattform-Ökonomie, was ist das?

Amazon, Google, Airbnb, Spotify, Uber, Alibaba, Facebook, LinkedIn: So unterschiedlich diese Unternehmen auf den ersten Blick zu sein scheinen, so sehr ähneln sie sich in ihrer DNA.

Es sind digitale Plattformen, die datenbasiert Angebot und Nachfrage zusammenbringen. Das macht sie zu Zwischeninstanzen, sogenannten Intermediären.

Netzwerk-Effekte in Öko-Systemen

Erfolgreiche Plattformen bilden ein Öko-System bestehend aus dem Betreiber sowie vielen Anbietern und vielen Nachfragern, welche die Plattform nutzen. Will die Plattform erfolgreich sein, muss es ihr gelingen, indirekte wechselseitige Netzwerk-Effekte zu erzielen.

Beispiel Amazon: Es gibt eine Anbieterseite (Händler) und eine Nachfragerseite (Kunden). Indirekte wechselseitige Netzwerk-Effekte entstehen, wenn das Wachstum auf der Anbieterseite ein Wachstum auf der Nachfragerseite auslöst – und umgekehrt.

Je mehr Händler ihre Produkte auf Amazon anbieten, desto mehr Kunden werden Amazon nutzen (aufgrund des großen Angebotes).

➧ Und je mehr Kunden sich auf Amazon tummeln, desto mehr Händler werden dort aktiv.

Salopp formuliert bedeuten indirekte wechselseitige Netzwerk-Effekte: Anbieter- und Nachfragerseite "schaukeln" sich quantitativ auf einer Plattform gegenseitig hoch.

Gelingt dies einer Plattform, kann sie exponentielles Wachstum (grüne Linie) erreichen: eine konstante prozentuale Zunahme in gleichen Zeitspannen, zu der klassische, linear wachsende Geschäftsmodelle (rote Linie) nicht fähig sind.


Plattform-Ökonomie: exponentielles Wachstum
grün = exponentiell, rot = linear, blau = kubisch

Die Plattform-Ökonomie ist das derzeit global mächtigste digitale Geschäftsmodell. In Sachen Marktkapitalisierung (Börsenwert) lassen erfolgreiche Plattformen traditionelle Unternehmen sehr weit hinter sich:


Wie präsent ist das Thema Plattform-Ökonomie in der deutschen Wirtschaft? Das hat die vorliegende Bitkom-Studie untersucht. Vorhang auf:

Von wem stammt die Plattform-Studie?

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) ist der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche. Er vertritt rund 3000 Unternehmen der digitalen Wirtschaft, darunter 1000 Mittelständler, mehr als 500 Start-ups und nahezu alle deutschen Global Player.

Das Untersuchungsdesign der 2020er Studie "Status Quo der Plattform-Ökonomie in der deutschen Wirtschaft": Zwischen 2017 und 2019 befragte der Bitkom jährlich 500-600 deutsche Unternehmen ab 20 Mitarbeitern zu den Themen digitale Transformation und digitale Plattformen.

Plattform-Ökonomie: ausgewählte Studien-Ergebnisse  

Ergebnisse teils gerundet, zudem waren mitunter mehrfache Nennungen möglich.

➤ "Sehen Sie digitale Plattformen eher als Chance oder eher als Risiko für Ihr Unternehmen?"

29 %: eher als Chance

22 %: keine Auswirkungen auf das Unternehmen

18 %: eher als Risiko

16 %: ausschließlich als Chance

12 %: ausschließlich als Risiko

03 %: weiß nicht / keine Angabe


 "Inwiefern sind digitale Plattformen für Ihr Unternehmen relevant?"

45 %: Wir bieten unsere Produkte bzw. Dienstleistungen auf einer Plattform an.

44 %: Wir kaufen Produkte bzw. Dienstleistungen über Plattformen.

30 %: Digitale Plattformen sind für unser Unternehmen derzeit nicht relevant.

09 %: Wir haben die Relevanz von Plattformen für unser Unternehmen erkannt, nutzen bisher aber keine.

05 %: Wir betreiben eine digitale Plattform ohne Partner.

05 %: Wir betreiben eine digitale Plattform mit Partnern.


"Können Sie sich vorstellen, digitale Plattformen künftig zu nutzen?" [Frage an Unternehmen, die keine Plattformen nutzen]

38 %: Nein, können wir uns eher nicht vorstellen.

28 %: Nein, können wir uns auf keinen Fall vorstellen.

14 %: Ja, können wir uns auf jeden Fall vorstellen.

14 %: Ja, können wir uns eher vorstellen.

05 %: Weiß nicht / keine Angabe


"Verfolgt Ihr Unternehmen eine Strategie zum Einsatz von digitalen Plattformen?"

35 %: haben keine Strategie.

34 %: haben in einzelnen Unternehmensbereichen eine Strategie.

23 %: haben eine zentrale Strategie.

08 %: Weiß nicht / keine Angabe


"Was sind die größten Hemmnisse für den Einsatz digitaler Plattformen in Ihrem Unternehmen?"

63 %: Anforderungen an den Datenschutz

58 %: Anforderungen an die IT-Sicherheit

53 %: Fehlendes qualifiziertes Personal

45 %: Fehlendes Know-how

27 %: Unzureichendes Budget

26 %: Fehlender wirtschaftlicher Nutzen

25 %: Rechtliche Unsicherheiten


"Was spricht aus Ihrer Sicht grundsätzlich für bzw. gegen den Einsatz von digitalen Plattformen?"

dafür:
74 %: Breiteres Angebot

72 %: Gewinnung neuer Kunden

68 %: Sicherung der Zukunftsfähigkeit

[...]

...47 %: Gewinnung von Daten

dagegen:
65 %: Einfacher Marktzutritt für neue Wettbewerber

55 %: Erhöhter Preisdruck

55 %: Verlust der direkten Kundenbeziehung


Unterschätzte Plattform-Ökonomie: Arroganz, Ignoranz oder Unwissenheit?

Oder alle drei Faktoren zusammen? Schauen wir uns die in meinen Augen auffälligsten Negativ-Ergebnisse nochmal zusammengefasst an:

➧ 30 % aller befragten Unternehmen glauben, digitale Plattformen seien für ihr Unternehmen irrelevant.

➧ 66 % der Unternehmen, die keine Plattformen nutzen, können sich nicht vorstellen, dies zukünftig zu tun.

➧ 35 % aller befragten Unternehmen haben keine Plattform-Strategie.

➤ Wie man angesichts der globalen Marktdominanz, der Börsenwerte und der Profitabilität der Plattform-Riesen glauben kann,...

...digitale Plattformen würden sich nicht auf das eigene Unternehmen und die eigene Branche auswirken, ist mir absolut schleierhaft.

Ohne Plattform-Strategie unterwegs zu sein, gleicht einem kurzsichtigen Blindflug, an dessen Ende die laut krachende Disruption steht: siehe stationärer Handel, siehe Hotel-Branche, siehe Medien- und Verlagsbranche, siehe Taxi-Gewerbe, siehe Ton- und Medienträger-Sektor, siehe...

Ein weiteres Ergebnis verdeutlicht zudem, wie weit deutsche Unternehmen vom Thema "Kundenmehrwert durch Daten" entfernt sind (etwas, das Unternehmen wie Google oder Amazon unter dem Titel "Customer Centricity" perfektioniert haben):

➧ Nur 47 % sagen, Daten zu gewinnen spreche für den Einsatz digitaler Plattformen.

Kurz gefasst, liebe Leute (sonst kommt euer Blogger aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus): Der Wirtschaftsstandort Deutschland wird so globalwirtschaftlich faktisch nicht mehr in der 1. Liga mitspielen können.

Wie sich die digitale Transformation auswirkt, ist sichtbar, glasklar erkennbar, so unglaublich offensichtlich. Und dennoch verhalten sich zu viele deutsche Unternehmen, als hätten wir das Jahr 1995.

Könnt ihr nicht oder wollt ihr nicht?

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