Disruption im Anflug: So können sich etablierte Unternehmen wappnen

Amazon (Handel) oder Airbnb (Unterkunftsvermittlung) sind nur zwei Beispiele: Jede Branche muss einkalkulieren, disruptiv erschüttert zu werden. Wie etablierte Unternehmen darauf reagieren können, zeigt US-Autor David L. Rogers in seinem Buch "Digitale Transformation".


Disruption im Anflug
(Galaxie / Pixabay-Lizenz)

Der Begriff Disruption geht zurück auf lat. disrumpere ("zerbrechen, zerreißen") und engl. disruption ("Zusammenbruch"). Inhaltlich sehr ähnlich ist der Terminus "schöpferische Zerstörung". Wann liegt sie auf ökonomischer Ebene vor? Zwei Kriterien müssen gleichzeitig erfüllt sein:

Kriterium 1 von 2: Ein neuer Mitbewerber bietet ein Produkt oder eine Dienstleistung, welche einen deutlich höheren Mehrwert besitzen als das Angebot der etablierten Unternehmen.

Kriterium 2 von 2: Der Vorsprung des dazugehörigen Wert-Netzwerkes (z. B. Reichweite, Preis-Spanne, Daten-Basis, Angebotsvielfalt, etc.) ist derart groß, dass die etablierten Unternehmen der Branche das neuartige Konzept des Disruptors nicht einfach kopieren können.

Am Beispiel von Airbnb: Unterkünfte aller Art und in allen Preisdimensionen an nahezu jedem Ort buchen zu können, wirkt auf viele deutlich wertiger als das starre Unterkunftsangebot eines klassischen Hotels. Hier ist das oben genannte Kriterium 1 erfüllt 

Kriterium 2 erfüllt Airbnb dadurch, dass es verglichen mit klassischen Hoteliers deutlich mehr und deutlich vielfältigere Unterkünfte bietet: Vom Schlafsofa bis zur Luxus-Suite, Millionen von Privatpersonen weltweit schöpfen auf Airbnb Wert, indem sie ihre Unterkünfte anbieten. Diesen äußerst großen Vorsprung im Wert-Netzwerk kann ein klassischer Hotel-Betreiber nicht auf Knopfdruck kopieren. 

Ein Vergleich aus dem Jahr 2019 (Quelle: tagesschau.de):
➔ Airbnb: 6 Millionen Unterkünfte (191 Länder, 100.000 Städte)
➔ Marriott International (größte Hotelkette der Welt, u. a. Sheraton, Ritz-Carlton): 1,3 Millionen Hotelzimmer (weltweit)

Wenn die Disruption einschlägt 

Im Optimalfall sollte sich ein etabliertes Unternehmen nicht urplötzlich inmitten einer Disruption wiederfinden: Idealerweise hat es vorgesorgt und selbst bereits disruptive Produkte, Services und Geschäftsmodelle entwickelt. 

Die Realität sieht anders aus: Vor allem traditionelle Mittelständler klammern sich an altbekannte Schemata, verweisen auf volle Auftragsbücher und sehen keinen akuten Handlungsbedarf – bis es eben kracht (fragt mal den Einzelhandel).

In seinem äußerst lesenswerten Buch "Digitale Transformation – das Playbook" schildert David L. Rogers, wie etablierte Unternehmen auf eine akute disruptive Bedrohung reagieren können. Vier ausgewählte Ansätze:
  1. Das etablierte Unternehmen kauft den Disruptor.
  2. Das etablierte Unternehmen bringt selbst einen Disruptor auf den Markt.
  3. Das etablierte Unternehmen verbündet sich mit anderen etablierten Mitbewerbern (Coopetition).
  4. Das etablierte Unternehmen erweitert sein bestehendes Angebot (Diversifikation).
Schauen wir uns das im Detail an:

1. Den Disruptor kaufen

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat es vorgemacht: 2012 wurde ihm klar, dass Instagram zu einer Gefahr für den blauen Social-Media-Riesen werden könnte. Also kaufte er die Foto-/Video-App zum (aus heutiger Sicht) Schnäppchenpreis von einer Milliarde US-Dollar. 

2014 wiederholte Zuckerberg das Spiel mit WhatsApp (das mit 19 Milliarden US-Dollar schon deutlich teurer war). 

2. Selbst einen Disruptor im Markt platzieren

Stichwort digitale Dualität: Das etablierte Unternehmen treibt sein Brot-und-Butter-Geschäft weiter evolutionär voran, während es parallel ein vom Hauptunternehmen losgelöstes Geschäftsfeld aufbaut, das revolutionäre Ansätze verfolgt. 

Kriegsentscheidend ist der Zeitpunkt: Die Liste derer ist lang, die zu einem späten Zeitpunkt vergeblich versuchten, ein zweites Google, Facebook oder Amazon hochzuziehen.

Nicht zu empfehlen ist es, revolutionäre Produkte, Services oder Geschäftsmodelle unmittelbar in der etablierten Unternehmensstruktur zu entwickeln: Große Teile der Belegschaft würden skeptisch, ängstlich oder gar ausdrücklich kontraproduktiv reagieren. Die Folge: massive Bremskräfte.

3. Mit etablierten Mitbewerbern verbünden (Coopetition)

Der Begriff Coopetition kombiniert die Wörter "Competition" (Wettbewerb) und "Cooperation" (Zusammenarbeit): Situativ wird ein Konkurrent zum Partner – zum Beispiel, um sich gegen einen neuen disruptiven Konkurrenten zu verbünden.

Sinnvoll ist dieser Ansatz, wenn das einzelne etablierte Unternehmen zu wenig Ressourcen besitzt, um es alleine mit dem disruptiven Angreifer aufnehmen zu können.

Ein Praxisbeispiel ist Google mit seinem mobilen Betriebssystem Android: 2007 schlugen Apples iPhone und das Betriebssystem iOS ein wie eine Bombe. Google reagierte und ermöglichte es solchen Hardware-Herstellern wie Samsung, HTC oder LG, das Betriebssystem Android auf ihren Geräten zu nutzen. Schließlich konnte der Suchmaschinenriese in Sachen Betriebssystem-Marktanteile zügig an Apple vorbeiziehen. 

Gleichzeitig konkurrierte und konkurriert Google auf der Hardware-Ebene mit seinen Partnern (siehe Smartphone-Modellreihen Google Nexus und Google Pixel).   

4. Das bestehende Angebot erweitern (Diversifikation)

Hierbei expandiert das etablierte Unternehmen in neue Bereiche und erwirbt zum Beispiel kleine Firmen in diesen Markt-Segmenten. 

Ein Praxisbeispiel ist die Disruption in der Foto-Branche: Während es Kodak das Genick brach, konnte Fujifilm erfolgreich überleben. Letztgenanntes Unternehmen diversifizierte seine Geschäftsfelder: Das aus dem Fotofilm-Segment gewonnene Know-how im Bereich Chemikalien übertrug man sehr erfolgreich auf die Flachbildschirm- und Arzneimittelherstellung.  

Disruption: Vorsorge ist besser als Nachsorge

Erstens: Kein Unternehmen muss eiskalt von einer Disruption erwischt werden. Schöpferische Zerstörungen kündigen sich an.

Häufig sind es Angst (und daraus resultierend Arroganz/Ignoranz) oder mangelnder Weitblick, die etablierte Unternehmen in die Knie zwingen. Wer dagegen frühzeitig die Weichen neu stellt, kann auf Erfolgskurs bleiben (siehe Fujifilm).

Zweitens: Disruption entsteht nicht, weil ein neuer Mitbewerber etablierte Branchen "zerstören" will. Sie ist vielmehr eine Begleiterscheinung folgender Tatsache: Dem neuen Mitbewerber ist es gelungen, einen Wert zu schöpfen, den die Zielgruppe einer etablierten Branche als deutlich höher empfindet. Dies verknüpft er mit einem Wert-Netzwerk-Vorsprung, der es den etablierten Anbietern schwer bis unmöglich macht, die Erfolgsformel zeitnah zu kopieren. 

Gemäß dem Disruptions-Vordenker Clayton Christensen befinden sich etablierte Marktführer in einem Dilemma: einer Zwangslage, in der sie scheinbar nur zwei gleichermaßen riskante Wahlmöglichkeiten haben.

➔ Entwickelt der etablierte Branchenprimus sein Kerngeschäft ausschließlich evolutionär weiter, verringert sich die Wertschöpfung zusehends und er kann von einem disruptiven Wettbewerber verdrängt werden. 

➔ Fokussiert er dagegen ausschließlich neue revolutionäre Produkte, Services oder Geschäftsmodelle, kann ihm das etablierte Brot-und-Butter-Geschäft wegbrechen.

Der Königsweg aus diesem Dilemma ist das Sowohl-als-auch: Etablierte Unternehmen sollten ihr Kerngeschäft weiter innovieren – um gleichzeitig losgelöst vom Hauptunternehmen eine eigenständige Einheit aufzubauen, die sich voll auf revolutionäre Ansätze konzentriert.

Bei all dem muss stets ein Radar mitlaufen, der die Marktentwicklung permanent scannt: Gibt es asymmetrischen Wettbewerb in Form von Tech-Riesen, die in die Branche drängen? Gibt es Start-ups, die mit völlig neuen Ansätzen die Branche aufmischen könnten?  

Das Schlusswort gehört Andy Grove (1936-2016), Mitbegründer des US-Chipherstellers Intel, der es überspitzt, aber treffend folgendermaßen formulierte: 
"Only the paranoid survive" – "Nur die Paranoiden überleben"

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