Kaufverhalten entschlüsselt: So entscheiden Kunden wirklich (2)

Unter dem Titel "Decoding Decisions: Making sense of the messy middle" veröffentlichte Google 2020 eine äußerst spannende Studie zum Thema B2C-Kaufverhalten. Die deutsche Kurzfassung hatten wir uns in Teil 1 angeschaut. Jetzt folgen weitere spannende Erkenntnisse aus der englischsprachigen Gesamtstudie.

Kaufverhalten entschlüsselt: So entscheiden Kunden wirklich
(Online / Pixabay-Lizenz)

Wir glauben, den Elefanten zu steuern – tun es aber nicht

Menschen entscheiden unbewusst – und rationalisieren ihre Entscheidungen nachträglich. Diese Erkenntnis der Hirnforschung (Buchtipp: "Schnelles Denken, langsames Denken" von Nobelpreisträger Daniel Kahneman) beschreibt der Psychologe Jonathan Haidt mit folgendem Bild:

Auf einem Elefanten (Emotion) sitzt ein Reiter (Verstand). Theoretisch bestimmt der Reiter, wohin der Elefant laufen soll. Doch sobald der Dickhäuter einem Reiz ausgesetzt ist, erlebt der Reiter, wie wenig er den Elefanten tatsächlich kontrolliert.

Würde man nun Reiter und Elefanten fragen, wie ihre Reise verlief, würden sie sagen: Wir wussten zwar, wohin wir wollten – verstehen aber nicht, warum wir dort gelandet sind, wo wir gelandet sind. Es würden Vermutungen und nachträgliche Rationalisierungen folgen, die tatsächlichen Beweggründe bleiben aber verborgen, da sie unbewusst abliefen.

Bezüglich des Kaufverhaltens von Konsumenten versucht das Marketing seit jeher, diese "Elefantenreise" in linearen (= schrittweise erfolgenden) Customer-Journey-Modellen abzubilden. Dazu merkt die Google-Studie an: Es gibt keine typische Kundenreise, sondern nur ein chaotisches Netz aus Angebots-Berührungspunkten, bevor der Kauf schließlich getätigt wird.

Demnach verbringen Konsumenten viel Zeit damit, zwischen zwei Modi hin- und herzuspringen:
  • ausschweifendes Erkunden (exploration) von Angeboten
  • und reduzierendes Bewerten (evaluation) dieser Angebote.
Kaufverhalten: Das Messy-Middle-Modell von Google.
Konsumenten wechseln vor einem tatsächlichen Kauf permanent zwischen einem Erkundungs- und einem Bewertungs-Modus. (Quelle: Google)

Laut der Google-Studie wird deutlich: Das Online-Suchverhalten von Kunden (erkunden & bewerten) wird immer breiter und komplexer. Das World Wide Web entwickelte sich in den letzten Jahren von einem Vergleichstool für Preise zu einem Vergleichstool für alles.

Zudem zeigen Analysen von Suchanfragen, dass User seit dem Jahr 2009 immer öfter nach den besten und immer seltener nach den günstigsten Angeboten googeln.

Wenn Menschen sich entscheiden, wollen sie sich nicht anstrengen

Anuj K. Shah and Daniel M. Oppenheimer sind Psychologen der US-Universität Princeton. Sie entdeckten die folgenden Heuristiken (einfache Denkstrategien), welche Menschen nutzen, um bei der Entscheidungsfindung weniger nachdenken zu müssen:
  • weniger Informationen auswerten
  • auf leicht zugängliche Informationen setzen
  • Informationen vereinfacht abwägen
  • weniger Alternativen erwägen
Unser Gehirn will energiesparend arbeiten. Deshalb nutzen Menschen diese Heuristiken, um ihre Entscheidungen so bequem wie möglich treffen zu können. 

Was Konsumenten-Entscheidungen beeinflusst

1. Der Einfluss von (empfundenen oder tatsächlichen) Autoritäten: Menschen neigen dazu, ihre Meinung und ihr Verhalten an Personen auszurichten, die sie als Autorität auf einem Gebiet anerkennen. Bedeutet für das Marketing: Expertenmeinungen und Gütesiegel wirken.

2. Die Rolle der sozialen Bestätigung (social proof): Fühlen sich Menschen unsicher, orientieren sie sich an dem, was andere Menschen tun. Im Kaufprozess sind daher glaubwürdige (!) Kundenbewertungen äußerst wichtig.

3. Die Macht des Jetzt: Menschen möchten Angebote lieber sofort als später nutzen. Evolutionär erklärbar ist dies dadurch, dass unsere Vorfahren sich komplett auf das Hier und Jetzt konzentrieren mussten, um zu überleben. Die Macht des Jetzt zeigt sich im Marketing durch den Erfolg von Sofort-Downloads und Same-day-Delivery-Angeboten.

4. Verknappung: Zeitlich oder mengenmäßig begrenzte Ressourcen sind begehrenswerter. Auch dieses Prinzip entspringt unserer Evolution. In einem Marketing-Kontext kann Verknappung laut der Google-Studie aber auch negative Gefühle bei der Zielgruppe auslösen.

5. Die Macht des Kostenlosen: Gratis-Angebote können das Konsumenten-Verhalten maßgeblich beeinflussen – zum Beispiel in der Variante "Kauf-etwas-und-bekomme-gratis-etwas-dazu" (buy-one-get-one-free, BOGOF).

Kaufverhalten: Die Best-Practice-Checkliste für Marken

Tipps für etablierte Marken: Es reicht nicht, in der Erwägungs-Phase des Konsumenten als etablierte Marke nur präsent zu sein. Da Konsumenten permanent zwischen dem Erkundungs- und Bewertungs-Modus wechseln, müssen auch Marktführer sicherstellen, stets aktiv die aktuellen Kundenbedürfnisse zu adressieren.

Tipps für neue Marken: Laut der Google-Studie sollten Herausforderer die "chaotische Mitte" (messy middle), in der Konsumenten permanent zwischen dem Erkunden und Bewerten wechseln, als Chance sehen. Konsumenten sind im Digital-Zeitalter offen dafür, sich Alternativen und Angebote von ihnen unbekannten Marken näher anzuschauen.

Kurzum: Konsumenten bevorzugen Marken, die ihnen in dieser chaotischen Mitte Orientierung bieten. Für Unternehmen heißt das, ihr Marketing datenbasiert auszurichten, um das jeweilige Kundenbedürfnis bestmöglich ansprechen zu können.

Die Google-Forscher betonen: 
Konsumenten bevorzugen eine Marke A nicht gegenüber einer Marke B, weil sie denken, A sei besser – sondern weil sie sich versichert fühlen, dass A gut ist.

Die Kluft zwischen Auslöser und Kauf schließen

Sobald der Kaufreiz beim Konsumenten ausgelöst wurde, muss das Online-Nutzererlebnis (User Experience) so optimiert sein, dass der Interessent direkt abschließt.

Dazu gehören unter anderem:
  • optimierte Ladezeiten der Online-Auftritte
  • ein durchgängig zusammenhängender Look & Feel
  • passgenaue, umfassende Informationen zum Angebot
  • Verzicht auf störenden Elemente (unklare Navigation, störende Werbe-Banner, fehlende Bezahlmöglichkeiten, etc.)

Fazit: Es ist das Zeitalter des Kunden…

...und seine Macht besteht darin, sich online ausgiebig über Angebote zu informieren und diese zu vergleichen (Google) – sowie seine Meinung zu Angeboten reichweitenstark kundzutun (Social Media & Kundenrezensionen).

Mit einer Website als "Online-Visitenkarte" oder "Online-Katalog" ist es nicht getan. Unternehmen und Marken müssen permanent präsent und dialogbereit sein, passgenaue Inhalte bieten und datenbasiertes Marketing betreiben...

...immer mit dem Ziel, möglichen Kunden das richtige Angebot, zur richtigen Zeit, zum richtigen Preis über den richtigen Kanal machen zu können.

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