Mythos & Wahrheit: Wie intelligent ist Künstliche Intelligenz?

Hollywood-geschwängerte Untergangs-Szenarien auf der einen Seite, unterschätzende Ignoranz auf der anderen, die Wahrheit (wie so oft) in der Mitte: Künstliche Intelligenz (KI) wird alle Lebensbereiche in den kommenden Jahren massiv beeinflussen. Dies jedoch innerhalb klar abgesteckter Grenzen und weit entfernt von dystopischen Killer-Maschinen.


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(Netz / Pixabay-Lizenz)

KI-Fachliteratur gibt es viele, jedoch gelingt es nur wenigen Autoren:innen, das Thema so anschaulich zu vermitteln wie es Ralf Otte tut. Er ist Professor an der Technischen Hochschule Ulm und seine Bücher "Künstliche Intelligenz für Dummies" und "Allgemeinbildung Künstliche Intelligenz" sind spitze.

Einige seiner spannenden Impulse schauen wir uns jetzt an.

Was ist (künstliche) Intelligenz?

Dazu gibt es viele Theorien, aber kaum definitive Antworten. Der Intelligenzbegriff fächert sich breit auf (logisch-mathematisch, sprachlich, emotional, sozial, etc.). Deshalb fragen wir einfach mal die letzte Instanz der deutschen Sprache, den Duden: Was ist Intelligenz?

"Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken, um zweckvoll zu handeln."

Auch "Künstliche Intelligenz" ist nur eine Überschrift für mehrere KI-Teilgebiete, die auf einen Nenner heruntergebrochen werden können: Sie versuchen mittels mathematischer Methoden, menschliche Intelligenz nachzuahmen. 

Die aktuell populärste KI-Disziplin, die uns im Alltag am häufigsten begegnet, ist das maschinelle Lernen (Machine Learning). Eine Definition bietet mein Beitrag "Künstliche Intelligenz: 8 Teilbereiche auf einen Blick":

➤ "Maschinelles Lernen, kurz ML: Dabei werden IT-Systeme nicht klassisch programmiert, sondern lernen datenbasiert, Muster selbständig zu erkennen. Programme sollen eigenständig Probleme lösen können. Machine Learning füttert ein System mit Daten, damit dieses Vorhersagen machen kann. Beispiel: Streaming-Dienste wie Amazon Prime oder Netflix analysieren ML-basiert Vorlieben und Bewertungen von Usern, um ihnen Filme empfehlen zu können."

Wie denken Maschinen?

Drei Arten des menschlichen logischen Schlussfolgerns auf einen Blick:

1. Deduktion (lat. deductio = "das Fortführen"):
Allgemeine Regel + Einzelfall = Ergebnis

2. Abduktion (lat. abductio = "das Wegführen"):
Allgemeine Regel + Ergebnis = Einzelfall

3. Induktion (lat. inductio = "das Hineinführen"):
Ergebnis + Einzelfall = Allgemeine Regel

Kermit (der Frosch) hilft uns, das zu verstehen:

1. Deduktives Schlussfolgern:
Allgemeine Regel + Einzelfall = Ergebnis

"Alle Frösche quaken" (allg. Regel) + "Kermit ist ein Frosch" (Einzelfall) = "Kermit quakt" (Ergebnis)

Deduktive KI-Programme gibt es bereits seit den 1960er Jahren, Ralf Otte spricht von der "schlussfolgernden KI von gestern".

2. Abduktives Schlussfolgern:
Allgemeine Regel + Ergebnis = Einzelfall

"Alle Frösche quaken" (allg. Regel) + "Kermit quakt" (Ergebnis) = "Kermit ist ein Frosch" (Einzelfall) 


3. Induktives Schlussfolgern:
Ergebnis + Einzelfall = Allgemeine Regel

"Kermit quakt" (Ergebnis) + "Kermit ist ein Frosch" (Einzelfall) = "Alle Frösche quaken" (allg. Regel) 

Maschinelles Lernen (bzw. seine Unterdisziplin Deep Learning) arbeitet induktiv. Sie versucht, in Datenmengen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, um künftig eine Aufgabe gemäß allgemeiner Regeln selbständig lösen zu können.

Tatsächlich ist induktives Schlussfolgern aus ethischer Sicht riskant, da es pauschalisieren und stereotypisieren kann. Eine mögliche Folge ist "automatisiertes Diskriminieren". Ein Beispiel: 

"Peter ist drogenabhängig" (Ergebnis)
+ "Peter lebt im Nürnberger Stadtteil Gostenhof" (Einzelfall)
= "Menschen, die in Nürnberg-Gostenhof leben, sind überdurchschnittlich oft drogenabhängig" (allgemeine Regel)

Die Maschine hinterfragt solche grob fahrlässigen und diskriminierenden Pauschalisierungen nicht, sie führt nur einen Algorithmus aus. Hier ist ganz entscheidend, von welcher Person das Programm mit welchen Daten gefüttert wird. Empfehlenswerte Doku zu diesem Thema: Pre-Crime.

Wie intelligent ist KI?

Ralf Otte nennt in seinen Büchern fünf Stufen der Intelligenz

Intelligenz-Level 1: Denken
Deduktion
Logisches Schlussfolgern
Klassische Logik

Intelligenz Level 2: Lernen
Induktion
Lernen auf Daten
Maschinelles Lernen (schwache KI)

Intelligenz-Level 3: Denken, Lernen, Kreativität
Kognitive KI

Intelligenz-Level 4 & 5: Denken, Lernen, Kreativität, Bewusstsein
Starke KI (eine der menschlichen Intelligenz ebenbürtige KI, die es aktuell nicht gibt und bei der fraglich ist, ob es sie jemals geben wird)

Beispiel KI-Bilderkennung 

Um das Thema KI realistisch einzuordnen, wählt Otte das Beispiel Bilderkennung: Hier wird deutlich, wie kreativ, aber nicht wirklich realistisch gängige KI-Storys aus Hollywood sind (gleichwohl entsprechende Filme cineastisch teils brillant sind, euer Blogger liebt "Blade Runner", "Terminator", "Matrix" & Co.).

Was passiert, wenn eine KI versucht, den Inhalt eines Bildes zu erkennen?

1. Die Bilder aus der Außenwelt werden erfasst,

2. in Zahlenkolonnen umgewandelt, 

3. danach mittels Deep Learning (eine Unter-Disziplin des maschinellen Lernens) bearbeitet 

4. und in einen Speicher als Tabellen aus Nullen und Einsen abgelegt.

Ein KI-Programm "sieht" also kein Bild wie es das menschliche Gehirn tut. Stattdessen erkennt es nur viele Einsen und Nullen, anhand derer es versucht, den Bedeutungsinhalt (zum Beispiel "Hund", "Katze") zu errechnen.

Ralf Otte betont: Ein KI-Programm kann faktisch nicht in die Welt "hinausschauen". Es sieht rein gar nichts in der Außenwelt. Der "Blick durch die Terminator-Brille", mit dem die Killer-Maschine ihre Umgebung physisch scannt, ist Stand heute unmöglich.

Wohin geht die KI-Reise?

Die Evolution hat unser Gehirn nicht dafür entworfen, formale Probleme wie Mathematik-Aufgaben oder Steuer-Erklärungen zu bewältigen. Unser Oberstübchen soll dafür sorgen, dass wir in einer natürlichen Umgebung überlebensfähig sind (und in diesem Steinzeit-Modus ist unser Denkorgan tatsächlich heute noch unterwegs).

Ein Computer kann nur formale Probleme lösen: Alles, mit dem er sich beschäftigen soll, muss algorithmisiert sein (ein Grund, warum der Begriff "Mathematische Intelligenz" treffender wäre als "Künstliche Intelligenz"). Liebe, Angst, Freude oder das Sehen lassen sich nicht formalisieren, dadurch nicht mathematisieren und somit nicht algorithmisieren.

Hinzu kommt: Wir Menschen verfügen über ein "universelles Wissen", eine Art Weltwissen, das in uns angelegt ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Eine KI besitzt dies nicht und kann dieses Weltwissen auch nicht erlernen.

Statt uns also in unreflektierten KI-Ängsten zu verlieren, sollten wir uns vor allem auf die realistischen Chancen von KI konzentrieren. Künstliche Intelligenz kann und wird uns in den kommenden Jahren in vielen Bereichen entlasten und unterstützen. Einige Beispiele:

Arbeitsprozesse: Stupide und fehleranfällige Routine-Aufgaben können mittels maschinellen Lernens automatisiert werden (zum Beispiel in der Buchhaltung, um eingehende Zahlungen den richtigen Rechnungen zuzuordnen). Stichwort hier: Robotic Process Automation (RPA).

Medizin: Dank KI können Krankheiten frühzeitig erkannt und so erfolgreich behandelt werden. Buchtipp: Zukunftsmedizin.

Industrie: KI hilft, die Industrie 4.0 (Smart Factories) und mit ihr die Losgröße 1 zu verwirklichen.

Marketing & Vertrieb: KI hilft, Kunden- und Marktbedürfnisse frühzeitig zu erkennen und zu bedienen.

Kommt die Super-KI?

Was aktuell und in den kommenden Jahren kaum vorstellbar ist, kann eines Tages vielleicht doch wahr werden: eine der menschlichen Intelligenz ebenbürtige KI.

Ralf Otte spricht von Quanten-KI und neuromorphen Computern, letztere imitieren die Informationsverarbeitung des Gehirns (Neuronen, Synapsen). Es gibt jedoch auch KI-Experten:innen, die kategorisch ausschließen, dass es jemals eine Super-KI geben wird.

Aber schon heute sollte klar sein: KI wird immer präsenter werden in unserem Leben. Es ist an uns, ihre großen Chancen zu nutzen und ihre Risiken zu minimieren.

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