XING, was hat dich bloß so ruiniert?

Wir schreiben das Jahr 2022. Deutschlands 20 Jahre alte B2B-Plattform Xing gleicht einem Endzeit-Szenario: eine digitale Geisterstadt, deren Totenstille nur noch von wirr postenden Zeitgenossen durchbrochen wird, bei denen unklar ist, ob es sich um Menschen oder um Bots handelt. Über die hohe Kunst, ein soziales Netzwerk langsam aber sicher laut hupend gegen die Wand zu setzen.

Der Xing-Fail
(Fail / Pixabay-Lizenz)

Kaum Interaktion und ausbleibende Wertschöpfung: Warum Xing aus plattformökonomischer Sicht von LinkedIn im zweiten Gang überholt wird, schilderte ich bereits in meinem Beitrag "Warum Xing schleicht und LinkedIn sprintet".

Heute geht es mir nicht um Analysen. Stattdessen ist es innerliches Kopfschütteln, das mich Xing erneut in einem Blog-Beitrag thematisieren lässt. Denn: Ich zucke zusammen, wenn ich beobachte, wie die Plattform nicht nur Wert vermissen lässt, sondern ihn faktisch mit Anlauf vernichtet.

Die Chronologie der Ereignisse:

1. Akt des Xing-Dramas: Ein wirrer Beitrag

Der benutzer-unfreundliche Xing-Algorithmus spült dem Betrachter in Endlosschleife die immer selben Beiträge auf den Radar. So begab es sich jüngst, dass mir zum gefühlt 138. Mal ein Post angezeigt wurde, den einer meiner Xing-Kontakte gelikt, geteilt oder kommentiert hatte. 

Es handelte sich um einen sehr langen Text-Beitrag einer jungen Frau (inklusive überdimensionierten Bild der Autorin). Ich begann zu lesen und gewann immer stärker den Eindruck, es mit einer leicht verwirrten Person zu tun zu haben: Zusammenhanglos und sprunghaft wurde in dieser "Wall of text" ein chaotischer Mix an Themen vermengt – ohne erkennbare Kohärenz oder Stringenz. Pandemie hier, gesellschaftliche Entwicklungen da und obendrauf das Thema Online-Dating (sic!). 

Ich fühlte mich an meinen Zivildienst vor 25 Jahren erinnert, als ich geduldig versuchte, den Ausführungen dementer Altenheim-Bewohner zu folgen, welche bei dem, was sie sagten, gerne die Gefilde der (unmittelbar greifbaren) Realität verließen. Bei diesem Xing-Post hatte ich es aber nicht mit einer Ü85-Person zu tun, sondern mit dem Geschreibsel eines jungen Menschen (oder vielleicht doch eines Bots?). 

2. Akt des Xing-Dramas: Die "Community" (welche Euphemismus…)

Ein geistiger Furz in den Weiten des Alls, könnte man meinen. Stattdessen aber platzte der Kommentarbereich unter diesem Beitrag aus allen Nähten (zusätzlich zu einer vierstelligen Like-Zahl): wildeste Schimpftiraden, persönliche Angriffe und Entwertungen. 

Eigentlich ein Szenario, das man meiden sollte. Doch mein Interesse ließ mich unvorsichtig werden: Ich wollte angesichts der vierstelligen Like-Zahl unter dem Haupt-Beitrag der jungen Frau wissen, ob ich alleine war mit meiner Einschätzung, dass es sich bei eben diesem um konfusen Kokolores handelt – und kommentierte ihn mit den Worten: 

"Bin ich der einzige, der den Haupt-Beitrag als etwas zusammenhanglos (um nicht zu sagen: wirr) empfindet?"

Mein Kommentar wurde zu einem der meistgelikten im gesamten Thread – ließ mich aber auch in die Fänge des Xing-Algorithmus geraten. Denn jetzt war ich in einer Endlosschleife aus Xing-Benachrichtigungen gefangen:

"Person X und 5 andere haben denselben Beitrag kommentiert wie du."

Diese Benachrichtigungen (die sich nicht auf meinen Kommentar, sondern auf den Haupt-Beitrag im Allgemeinen bezogen) kamen nicht einmal. Nicht fünfmal. Sondern täglich (!) mindestens zehnmal (!!) als E-Mail (!!!).

Benachrichtigungen deaktivieren? Im Post nicht möglich, selbst wenn man die Option auswählte "Alles vom Verfasser des Haupt-Beitrages ausblenden". Nach drei Tagen hatte ich rund 30 Xing-Benachrichtigungs-Mails aus meinem Postfach entfernt. Ich googelte nach einer Lösung und fand zumindest einen Weg, diese unsägliche Mail-Flut abzustellen:

➤ Xing-Einstellungen 

"Benachrichtigungen per E-Mail"

"Reaktionen auf Deine Beiträge" 

"Wenn jemand einen Link oder Beitrag kommentiert, der von mir kommt oder auf den ich bereits reagiert habe" 

➤ deaktivieren

3. Akt des Xing-Dramas: Der "Kundenservice" (again: Welch Euphemismus…) 

Währenddessen hatte ich mehrmals Xing darauf hingewiesen, dass der Tonfall in den Kommentaren des besagten Beitrages komplett indiskutabel geworden war. Eine überschaubare Gruppe von Xing-Usern lieferte sich eine hasserfüllte Kommentarschlacht, in der regelmäßig beleidigt und diffamiert wurde (inklusive haarsträubenden Fake-News-Spamming).

Ein Einschreiten durch Xing? Fehlanzeige. Bis zu diesem jetzigen Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, bekomme ich auf Xing die Notification, dass mal wieder jemand diesen Gaga-Beitrag kommentiert hat (die Benachrichtigungen auf Xing lassen sich nicht abschalten).

Letzter Akt: Eine Katastrophe namens Xing

Liebe Xing-Betreiber, ich weiß nicht, ob ihr nicht könnt oder nicht wollt, aber: Glaubt ihr allen Ernstes, dass das, was auf eurer Plattform passiert, in die Rubrik "positive User Experience" fällt?

Ihr scheint nur noch zwei Extreme auf eurer Plattform verwirklichen zu können: 

Entweder das Modell "digitale Geisterstadt": kaum Engagement, kaum Interaktion, wenig Anreiz, sich überhaupt einzuloggen.

Oder das Modell "Kloake": Schrott-Posts, die noch schrottigere Kommentar-Schlachten nach sich ziehen.

Ja, es gibt Gründe, warum LinkedIn auch in der D-A-CH-Region an euch vorbeizieht. Um diese Gründe zu verstehen braucht es keine tiefgreifenden Analysen – sondern nur etwas gesunden Menschenverstand

"Zeit, Dich beruflich zu entfalten!" steht auf der Xing-Website. Gerne. Aber sicherlich nicht in einer digitalen Geisterstadt mit defekter Kanalisation.

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