Killt GenAI die klassische Google-Suche?
Die IT-Marktforscher*innen von Gartner prognostizieren: Generative-KI-Chatbots wie ChatGPT lassen den traditionellen Suchmaschinen-Markt bis 2026 um 25 % einbrechen. Wie haltbar ist diese These?
Das sagt die
Gartner-Pressemeldung vom Februar 2024 im Original:
"By 2026, traditional search engine volume will drop 25%, with search marketing losing market share to AI chatbots and other virtual agents, [...]. Generative AI (GenAI) solutions are becoming substitute answer engines, replacing user queries that previously may have been executed in traditional search engines."
Soweit die Vorhersage. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie sich in der
genannten Massivität bewahrheitet? Starten wir mit dem, was uns Menschen global und umfassend kennzeichnet: unser
Homo-sapiens-Gehirn.
Das menschliche Gehirn: "Spare Energie, vermeide Arbeit"
Die Hirnforschung betont: Unser Gehirn will Energie sparen, wann immer es geht. Platt ausgedrückt: Wir denken nicht gerne nach – wir differenzieren nicht gerne – wir bevorzugen einfache Antworten.
Der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther sagt dazu:
"[...]. Es ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Ihm muss auch unser Gehirn gehorchen und deshalb versucht es ständig, möglichst wenig Energie zu verbrauchen.. [...], Herausforderungen meistern und Anstrengungen auf sich nehmen sind nicht die Lieblingsbeschäftigungen des Gehirns. Das verbraucht alles viel zu viel Energie. [...]."
chemie.de definiert den genannten
zweiten Hauptsatz der Thermodynamik wie folgt:
"Es gibt keine Zustandsänderung, deren einzige Ergebnisse das Abkühlen
eines Körpers und das Heben eines Gewichtes sind."
Bezogen auf unser Oberstübchen bedeutet das: Es muss ständig Energie aufbringen (= kann nicht "abkühlen", siehe oben), um seine Grundfunktionen aufrechterhalten zu können. Deshalb muss es energiesparend arbeiten.
Was bedeutet dieser unserem Gehirn innewohnende Energiesparmodus für unser
Online-Suchverhalten?
GenAI vs. klassische Google-Suche: Was ist "gehirngerechter"?
Seid ihr Trekkies? Dann kennt ihr die ikonische Star-Trek-Szene, wenn jemand "Computer!" sagt – um anschließend die Raumschiff-KI etwas zu fragen oder ihr etwas zu befehlen.
Was Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Google Assistant in Sachen User Experience (UX) bis heute nicht gut hinkriegen, ist mit GenAI-Tools wie ChatGPT oder Google Gemini greifbarer geworden (zumindest wenn es darum geht, Fragen zu beantworten).
Die klassische Google-Suche dagegen erfordert nach der Sucheingabe weitere Energieaufwendungen unseres Gehirns: Wir bekommen eine Liste von Suchtreffern und müssen auswählen. Und selbst dann haben wir noch nicht die Antwort, denn wir müssen auf einer Trefferseite weiterdenken – also Energie verbrauchen.
Die Google-Suche versucht das zu vereinfachen: Sogenannte Feature Snippets beantworten die Suchanfrage direkt auf der Suchergebnisseite. Und manche Suchergebnisse lassen User*innen direkt in der jeweiligen Textpassage der Trefferseite rauskommen.
Aber dennoch: So bequem wie die schlüsselfertige Antwort eines GenAI-Bots ist das alles nicht.
Aus Sicht der Hirnforschung heißt das: Ja, GenAI-Tools sind bei informationellen Suchanfragen benutzerfreundlicher als die klassische Suchmaschine. Wie hat sich das bislang
auf das Nutzerverhalten ausgewirkt?
GenAI vs. Google-Suche: Die Marktanteile
"Suchmaschine: Auch mit ChatGPT bleibt Bings Marktanteil bei drei Prozent"
So titelte heise.de im Januar 2024. Zu Erinnerung: Die Integration von ChatGPT in seine Suchmaschine sah Microsoft als große Chance, den absoluten Platzhirsch Google einzuholen.
Pustekuchen: Es bleibt bei einem Nischendasein. Googles Marktanteil dagegen liegt unverändert bei 90 %.
blogmojo.de berichtet: Nach einem Peak von 1,7 Milliarden ChatGPT-Aufrufen im November 2023 sanken diese im Dezember auf 1,6 Milliarden und blieben bis Februar 2024 auf diesem Wert.
Zum Vergleich: google.com kommt im Februar 2024 auf rund
81 Milliarden Aufrufe.
Online-Suche: 4 Argumente gegen eine Machtübernahme durch ChatGPT
Das SEO-Fachportal searchenginejornal.com führt unter anderem folgende vier Punkte gegen die Gartner-Prognose ins Feld:
1. Es gibt keine permanent aktualisierten KI-Such-Indizes:
Laut Search Engine Journal ist es aktuell unmöglich, KI-Infrastrukturen zu
nutzen, die permanent aktualisierte Such-Indizes für Web-Inhalte erschaffen.
Aktuell müssen Language Models "re-trainiert" werden, um auf neue Informationen zugreifen zu können. Deshalb habe zum Beispiel GPT-4 keinen Zugang zu aktuellen Informationen.
2. Generative KI ist nicht bereit für den breiten Einsatz:
Laut Search Engine Journal steckt GenAI immer noch in den Kinderschuhen:
"Halluzinationen" und haarsträubende Fehlinformationen sind 2024
allgegenwärtig. Ob diese Kinderkrankheiten bereits 2026 ausgemerzt sein
werden? Fraglich.
3. Gartners Prognose basiert auf der irrigen Annahme, Suchmaschinen blieben
unverändert:
Das ist das für mich das zugkräftigste Argument des
Search-Engine-Journal-Repliks: Seit dem Markteintritt ChatGPTs wurde bei
Google der "Code red" ausgerufen. Heißt: Der Suchmaschinenriese setzt alles daran, sein
Hoheitsgebiet zu verteidigen – mit Milliarden-Summen und Heerscharen von
KI-Expert*innen. Und er hat bereits reagiert: "Google SGE" steht für "Search Generative Experience" und integriert (aktuell als
Beta-Version) generative KI in die bestehende Google-Suche.
4. Widerspricht sich Gartner selbst?
Search Engine Journal zeigt
auf, dass Gartner noch im Juni 2023 (kein ganzes Jahr vor der obigen
Vorhersage) das Gegenteil eines Chatbot-Siegeszugs prognostizierte. Damals verlautbarte man:
"Only 8% of customers used a chatbot during their most recent customer
service experience, according to a survey by Gartner, Inc. Of those, just
25% said they would use that chatbot again in the future."
GenAI vs. Google-Suche: Sowohl-als-auch statt Entweder-oder
Zugegeben: Dass searchengineland.com als SEO-Fachportal tendenziell gegen eine Nicht-Google-GenAI argumentiert, liegt in der Natur der Sache.
Aber in zwei Punkten folge ich der Argumentation ausdrücklich:
➤ 1. Es ist unrealistisch, dass die klassische Google-Suche aufgrund von Nicht-Google-Tools (namentlich ChatGPT) innerhalb von zwei Jahren nennenswerte Marktanteile verliert.
➤ 2. Google setzt aktuell und künftig alles daran, GenAI in seine eigene Suche zu integrieren – und wird so seine Marktanteile verteidigen. Dabei bitte auch bedenken: Google kann auf ein seit 25 Jahren fortlaufend trainiertes algorithmisches System zurückgreifen, das Web-Inhalte qualitativ immer besser einordnet. ChatGPT und andere KI-Bots haben dies Art der Qualitätssicherung nicht – entsprechend volatil ist die Güte ihrer Aussagen.
So oder so gilt aber: Generative KI wird die Art, wie wir online Informationen suchen, in den kommenden Jahren massiv beeinflussen. Die Zeit wird zeigen, welche Tech-Company dabei die Nase vorn haben wird (euer Blogger tippt auf Google).
Link-Tipps:
- Zukunft der Google-Suche: Warum der Start von "AI Overviews" ein notwendiger Unfall ist
- ChatGPT: Wie der KI-Chatbot funktioniert (und warum er ein echter Gamechanger ist)
- KI-Bot "ChatGPT": Keine Sensation, sondern der nächste logische Schritt
- ChatGPT & SEO: Was sagt Google zu KI-generierten Inhalten?
- KI im Content-Marketing: Inhalte erstellen mit ChatGPT & Co.
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