Zukunft der Google-Suche [Teil 1]: Warum der Start von "AI Overviews" ein notwendiger Unfall ist
Mitte Mai 2024 schaltete Google seine "AI Overviews" in der US-Suche live. Die Funktion erweitert die Treffer um fertige KI-Antworten – den Start als holprig zu bezeichnen, scheint noch freundlich. Aber: Unternehmen wie der ChatGPT-Anbieter OpenAI setzen dem Google'schen Geschäftsmodell derart zu, dass der Suchmaschinenriese schnellstmöglich reagieren musste. Hier kommt meine Analyse.
Google-Suche 2024: Vom Disruptor zum Disruptierten?
Zur Jahrtausendwende überholte Google die damaligen Suchmaschinen-Platzhirsche Yahoo, Lycos und AltaVisa – und dominiert seit 2002 die Online-Suche uneinholbar.
Seit 20 Jahren scheint Google ein Quasi-Monopol zu besitzen: Das Unternehmen musste bislang bei der Online-Suche nichts und niemanden ernsthaft fürchten – bis 2022/2023 der KI-Chatbot des US-Unternehmens OpenAI einschlug wie eine Bombe. ChatGPT ist in aller Munde und zeigt, wie die Zukunft der Web-Suche aussehen könnte: Statt sich mühsam durch Suchtrefferlisten zu kämpfen, liefert ein generatives KI-Tool fertige Antworten auf Suchanfragen.
Google erkennt die Gefahr für sein Geschäftsmodell: Seine unbezahlte (organische) Suche war stets das Umsatz-Vehikel für bezahlte Suchanzeigen (Google Ads plus angedocktes Werbenetzwerk). Der Suchmaschinenriese generiert seinen Milliarden-Umsatz bis heute maßgeblich als Werbeträger für Unternehmen.
Was aber, wenn online suchende Menschen immer mehr dazu übergehen, generative KI-Tools wie ChatGPT zu nutzen?
Google reagierte schnell und verkündete seine "Search Generative Experience":
Die dazugehörige Funktion "AI Overviews" ergänzt die bekannte
Google-Suche um schlüsselfertige KI-Antworten. Mitte Mai 2024 erfolgte der
Roll-out in der US-Google-Suche. Ein Beispiel für die Suchanfrage "how to lose weight" (für eine größere Ansicht in das Bild klicken):
AI Overviews: Ein Beispiel für die KI-erweiterte Google-Suche (Quelle: semrush.com) |
Problem: Während KI-Antworten wie die obige inhaltlich rund wirken,
lassen andere Ergebnisse der "AI Overviews" viele Nutzer*innen ungläubig den
Kopf schütteln.
Die US-Medienresonanz zu "AI Overviews" Anfang Juni 2024
Die New York Times schreibt am 1. Juni 2024:
"Google Rolls Back A.I. Search Feature After Flubs and Flaws"
➤
"Google nimmt KI-Suchfunktion nach Fehlern und Mängeln zurück"
"The disappearance of A.I. Overviews for some of the searches appeared to be part of a broader rollback after the new technology produced a litany of untruths and errors – including recommending glue as part of a pizza recipe and suggesting that people ingest rocks for nutrients."
➤ "Das Verschwinden der KI-Übersichten für einige der Suchanfragen schien
Teil eines umfassenderen Rollbacks zu sein, nachdem die neue Technologie
eine Litanei von Unwahrheiten und Fehlern hervorgebracht hatte –
einschließlich der Empfehlung von Klebstoff als Teil eines Pizza-Rezepts und
der Empfehlung, dass Menschen Steine als Nährstoffe zu sich nehmen
sollten."
"The backtracking was a blow to Google's efforts to keep up with its rivals Microsoft and OpenAI, the maker of the ChatGPT chatbot, in the frenzied race to lead A.I."
➤ "Der Rückzieher war ein Rückschlag für Googles Bemühungen, mit seinen
Konkurrenten Microsoft und OpenAI, dem Hersteller des Chatbots ChatGPT, im
wilden Rennen um die Führung in der künstlichen Intelligenz mitzuhalten."
Das US-Tech-Fachmagazin Wired ergänzt am 6. Juni:
"In theory, AI Overviews are meant to answer questions and neatly summarize key information about people's search queries, [...].. In reality, these AI Overviews have been kinda messy. The information the summary confidently displays can be simply, and sometimes comically, wrong. [...]. The resulting criticisms have forced Google to reportedly dial back the number of search queries that trigger AI Overviews, and they are now being seen less frequently than they were at launch."
➤ "Theoretisch sollen die KI-Überblicke Fragen beantworten und wichtige
Informationen zu den Suchanfragen der Nutzer übersichtlich zusammenfassen.
[...]. In der Realität sind diese KI-Überblicke ziemlich chaotisch. Die
Informationen, die die Zusammenfassung selbstsicher anzeigt, können schlicht
und einfach falsch sein, manchmal sogar komisch. [...]. Die daraus
resultierende Kritik hat Google Berichten zufolge dazu gezwungen, die Anzahl
der Suchanfragen, die KI-Überblicke auslösen, zu reduzieren, und sie werden
jetzt weniger häufig angezeigt als bei der Einführung."
ABC News berichtet am 3. Juni 2024:
"Aside from the accuracy concerns, [...] Google prioritizing AI Overviews over traditional search results could affect revenue and reshape how business is done on the web. [...] By replacing the top of the Google Search results page with AI-generated content, [...] websites could see fewer visitors – and therefore less ad revenue."
➤ "Abgesehen von den Bedenken in Bezug auf die Genauigkeit [...], dass die
Bevorzugung von KI-Übersichten durch Google gegenüber herkömmlichen
Suchergebnissen Auswirkungen auf die Einnahmen haben und die Art und Weise,
wie Geschäfte im Internet abgewickelt werden, neu gestalten könnte. [...]
Wenn [...] der obere Teil der Google-Suchergebnisseite durch KI-generierte
Inhalte ersetzt wird, könnten Websites weniger Besucher und damit weniger
Werbe-Einnahmen verzeichnen, [...]."
Googles "AI Overviews": Die Ängste der Medien
Ein weiterer New-York-Times-Artikel vom Juni 2024 adressiert die Ängste der Medien-Verlage. Deren Online-Angebote (wie beispielsweise News-Seiten) sind existentiell angewiesen auf Leser*innen, die über die unbezahlte Google-Suche kommen:
"Google's A.I. Search Leaves Publishers Scrambling: Since Google overhauled its search engine, publishers have tried to assess the danger to their brittle business models while calling for government intervention."
➤ "Googles KI-Suche lässt Verlage ratlos zurück: Seit Google seine
Suchmaschine überarbeitet hat, versuchen [US-]Verleger, die Gefahr für ihre
brüchigen Geschäftsmodelle einzuschätzen und fordern gleichzeitig ein
Eingreifen der [US-]Regierung."
"The feature, AI Overviews, felt like another step toward generative A.I. replacing 'the publications that they have cannibalized,' [...]."
➤ "Die Funktion AI Overviews sei ein weiterer Schritt in Richtung generativer
KI, welche 'die Publikationen ersetzt, die sie kannibalisiert haben',
[...]."
"They [the publishers] want their sites listed in Google's search results, which for some outlets can generate more than half of their traffic. But doing that means Google can use their content in AI Overviews summaries."
➤ "Sie [die Medien-Verlage] wollen, dass ihre Websites in den
Google-Suchergebnissen aufgeführt werden, die für einige Medien mehr als die
Hälfte ihres Websitebesucher-Aufkommens ausmachen können. Das bedeutet
jedoch, dass Google ihre Inhalte in den Zusammenfassungen von AI Overviews
verwenden kann."
– [Anm. eures Bloggers: Damit hätten Suchende weniger Gründe, die
Medien-Websites überhaupt noch zu besuchen. Letztere würden weniger
Seitenaufrufe generieren, deren Anzahl wiederum kriegsentscheidend ist, damit
News-Seiten als Werbeträger Geld verdienen können.]
Google selbst sieht laut New York Times diese Gefahr nicht – im Gegenteil:
"Liz Reid, Google's vice president of search, said in an interview before the introduction of AI Overviews that there were hopeful signs for publishers during testing. 'We do continue to see that people often do click on the links in AI Overviews and explore,' she said. 'A website that appears in the AI Overview actually gets more traffic' than one with just a traditional blue link."
➤ "Liz Reid, Vice President of Search bei Google, sagte in einem Interview
vor der Einführung von AI Overviews, dass es während der Testphase
hoffnungsvolle Anzeichen für die Verleger gab. 'Wir sehen weiterhin, dass
die Leute oft auf die Links in den KI-Übersichten klicken und sich
informieren', sagte sie. 'Eine Website, die in der KI-Übersicht erscheint,
erhält tatsächlich mehr Besucher' als eine Website, die nur einen
herkömmlichen blauen Link enthält."
– [Anm. eures Bloggers: Der Begriff "blauer Link" bezieht sich
auf die traditionelle Google-Suche, in der die Suchtreffer aus einem
ebensolchen bestehen].
Googles "AI Overviews": Wohin geht die Search-Reise?
Soweit die US-Medienresonanz zu Googles KI-Suche Anfang/Mitte Juni 2024.
Viele offene Fragen, viele Unsicherheiten, viele Ängste – und das garniert mit einer teils unterirdischen Antwort-Qualität der generativen KI.
Aus Sicht des Projektmanagements lässt sich der aktuelle Status in Sachen "AI Overviews" mit dem "magischen Dreieck" erklären. Dieses besteht in der Projektmanagement-Theorie aus:
- Qualität
- Zeit
- Aufwand
Googles Problem sind die Faktoren Zeit und Aufwand: Der Suchmaschinenriese muss in kürzester Zeit im Bereich generative KI liefern, um seinen neuen Mitbewerbern (ChatGPT & Co.) etwas entgegenzusetzen. Das Projekt "KI-angereicherte Suchergebnisse" ist allerdings derart aufwendig, dass die Priorisierung des Faktors Zeit zwangsläufig zulasten der Qualität geht.
Google sieht sich erstmals in seiner Firmengeschichte mit einer ernstzunehmenden Gefährdung seines Geschäftsmodells konfrontiert. Die schnelle Reaktion zeigt, dass man sich dieser Gefahr bewusst ist.
Meiner Meinung nach macht Google es durch seine sehr zeitnahen Anpassungsbemühungen deutlich besser als vergleichbare (ehemalige) Weltmarktführer: zum Beispiel die Nokias, Microsofts, traditionellen Automobilhersteller und klassischen Medien dieser Welt, die …
- Touchscreen und App-Store verpennten (Nokia),
- mobilen Betriebssystemen zu wenig Aufmerksamkeit schenkten (Microsoft),
- das E-Auto als Alibi-Projekt zu lange in den Schubladen ließen (Automobilhersteller)
- und es verschliefen, rechtzeitig ihr journalistisches Online-Angebot zu monetarisieren (Medien).
Adapt or die – Google hat das begriffen. Und wird seine Milliarden-Macht nutzen, um die Antwort-Qualität der "AI Overviews" in den Suchergebnissen zu verbessern.
Offen bleibt dabei jedoch die Frage, wie Google mit dieser neuen KI-Suche sein Umsatzmodell stabil weiterführen kann – und inwieweit Websites damit rechnen müssen, massive Einbrüche bei ihren Besucherzahlen zu erleben.
Das und weitere spannende Aspekte schildert Teil 2 von "Zukunft der Google-Suche".
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