Plattform-Ökonomie: Gelingt Deutschland die digitale Aufholjagd?
In der globalen Digitalwirtschaft sind uns Nordamerika und Asien weit voraus. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte jüngst ein Weißbuch mit Vorschlägen, wie Deutschland und Europa aufholen können. Was bietet die Publikation?
In der Plattform-Ökonomie entstehen Geschäftsmodelle, die datenbasiert Angebot und Nachfrage zusammenbringen:
Äußerst erfolgreich und sehr dominant tun dies US-Plattform-Anbieter wie Google (Suchmaschine), Amazon (Online-Handel), Facebook (Information/Kommunikation) oder Airbnb (Wohnraumvermittlung). Auch in Fernost gibt es mächtige Wettbewerber wie die Alibaba Group, Tencent oder Baidu.
Europa und Deutschland hinken hinterher, wie die Zahlen des BMWi-Weißbuches zeigen:
➤ Anzahl / Unternehmenswert digitaler Plattformen (2015):
Zitat:
"Um diese Transformation zu schaffen, müssen wir Digitale Plattformen und Plattformstrategien in die eigenen Volkswirtschaften einbetten. Plattformen zwingen bestehende Unternehmen, über die Zukunftsfähigkeit ihres Geschäftsmodells nachzudenken."
Als Beispiel nennen die Verfasser die Automobil-Industrie: Digital-Konzerne wie Google wagen einen neuen Ansatz, indem sie batteriebetriebene, autonom fahrende Fahrzeuge mit Big Data verschmelzen.
Gelingt es deutschen und europäischen Autobauern nicht, ähnlich innovativ zu sein, könnten sie eines Tages zu reinen Fahrzeugzulieferern verkümmern.
Die geschilderten Ansätze für Deutschland klingen zunächst vielversprechend:
➧ Behördliche Verfahren vereinfachen, um gesunden Wettbewerb zu ermöglichen.
➧ Einfache Investitionsmöglichkeiten bieten, um neue Technologien zügig einsetzen zu können.
➧ Leistungsfähige Gigabit-Netze und eine demokratische Digitalkultur verwirklichen.
Beim Lesen des Weißbuches wird deutlich: Das BMWi sieht die größten Chancen darin, das Digitale mit klassischen deutschen Wirtschaftsstärken zu verschmelzen (Produktion, industrienahe Dienstleistungen, Ingenieurs- und Handwerkskultur).
Zitat:
"Sie [traditionelle deutsche und europäische Unternehmen] müssen bestehende Produktportfolios und Kundenkontakte mit den Netzwerkeffekten einer Plattform kombinieren. So entsteht ein eigenes Ökosystem für zusätzliche Wertschöpfung – mit neuen Technologien, neuen Kundenschnittstellen, neuen Partnern und vor allem neuen Diensten."
Das Ganz gipfelt in einer "Digitalen Strategie 2025" (Auswahl):
➧ 1. Ausreichende Gigabit-Netze für Deutschland bis 2025 (inkl. flächendeckender, rechtssicherer WLAN-Hotspots).
➧ 2. Neue Gründerzeit einleiten (Start-ups unterstützen, Finanzierung verbessern, junge und etablierte Unternehmen zusammenbringen).
➧ 3. Ordnungsrahmen für mehr Investitionen und Innovationen bieten.
➧ 4. Neue Geschäftsmodelle für kleine und mittelständische Unternehmen, Handwerk und Dienstleistungen verwirklichen.
➧ 5. Mit Industrie 4.0 den Produktionsstandort Deutschland modernisieren.
➧ 6. Forschung, Entwicklung und Innovation bei digitalen Technologien auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen.
➧ 7. Digitale Bildung in allen Lebensphasen fördern.
➧ 8. Klaren Rechtsrahmen für die Daten-Nutzung setzen.
➧ 9. Gründung einer Digital-Agentur, die den Digitalisierungsprozess unterstützt und bei Verstößen rasch eingreift.
Von einem Digital-Ministerium rät das Weißbuch ausdrücklich ab – was ich für einen kapitalen Fehler halte: Gerade jetzt braucht es gebündeltes Know-how und keine bremsenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Ministerien.
Das Weißbuch des BMWi konnotiert den Begriff der Disruption negativ...
...Zitat:
"Verstehen und fördern wir die Digitalisierung als Disruption, also als Zerstörung des Bestehenden? Oder wollen wir einen Transformationsprozess, durch den die bestehende Wirtschaft mit der schöpferischen Kraft digitaler Mittel und Geschäftsmodelle moduliert und modernisiert wird? Wir wollen einen Transformationsprozess und keine Disruption."
Kritik meinerseits an dieser Stelle: Disruption ist in meinen Augen etwas Positives und sollte als schöpferische Zerstörung nicht "verhindert" werden. Ganz abgesehen davon, dass sie sich ihren Weg so oder so bahnt, wenn die Zeit reif ist:
DVD und Blu-Ray lösten die VHS-Kassette nicht deshalb ab, weil von zentraler Stelle ein Transformationsprozess "verordnet" wurde. Ausschlaggebend war, dass Endverbraucher mehrheitlich vom leichteren Handling und der deutlich besseren Bildqualität überzeugt waren.
Und auch ein Unternehmen wie der digitale Wohnraumvermittler Airbnb konnte nur deshalb reüssieren, weil Millionen User das Angebot begeistert annehmen. Ganz ohne konzertierten Transformationsprozess.
Es wird deutlich: Plattform-Ökonomie und Wirtschaft 4.0 sind mit all ihren wichtigen Aspekten und Auswirkungen in der Politik angekommen. Wenn Deutschland und Europa künftig wirtschaftlich global wettbewerbsfähig bleiben wollen, haben wir einiges aufzuholen.
Das Weißbuch des BMWi zeigt meiner Meinung nach jedoch einen typisch deutschen Konflikt auf:
➧ Man möchte fortschrittlich und innovativ sein…
➧ ...den Weg dorthin aber mit Bürokratie zupflastern...
➧ ...sowie jede Eventualität und Unsicherheit im Voraus planen und kontrollieren.
"Ordnungsrahmen", "Kontrollen", "Behörden", "Verstöße" – die typisch deutsche Angst soll mit dem altbekannten Reglementierungswahn beruhigt werden. Sorry, aber das bremst massiv!
Bitte richtig verstehen: Macht braucht Kontrolle, keine Frage. Doch Unternehmen wie Google oder Airbnb wurden auch deshalb so erfolgreich, weil sie sich relativ frei entwickeln konnten. In Deutschland – behaupte ich – wären sie als Start-ups nicht weit gekommen.
So lautet mein Fazit zum Weißbuch "Digitale Plattformen" des Bundesministeriums: alles richtig erkannt, prinzipiell die richtige Richtung eingeschlagen – aber statt Gas zu geben, wird hier der Tempomat von vornherein bürokratisch auf ein Limit von 45 km/h eingestellt...
...zu langsam für den Daten-Highway globaler wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.
Lasst es mich wissen: Wie schätzt ihr die zukünftige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ein?
Link-Tipps:
Plattform-Ökonomie am Beispiel von vier globalen Digital-Plattformen (für eine größere Ansicht bitte in das Bild klicken). |
In der Plattform-Ökonomie entstehen Geschäftsmodelle, die datenbasiert Angebot und Nachfrage zusammenbringen:
Äußerst erfolgreich und sehr dominant tun dies US-Plattform-Anbieter wie Google (Suchmaschine), Amazon (Online-Handel), Facebook (Information/Kommunikation) oder Airbnb (Wohnraumvermittlung). Auch in Fernost gibt es mächtige Wettbewerber wie die Alibaba Group, Tencent oder Baidu.
Europa und Deutschland hinken hinterher, wie die Zahlen des BMWi-Weißbuches zeigen:
➤ Anzahl / Unternehmenswert digitaler Plattformen (2015):
- Nordamerika: 64 / ca. 3,1 Billionen US-Dollar
- Asien: 82 / ca. 930 Milliarden US-Dollar
- Europa: 27 / ca. 181 Milliarden US-Dollar
Plattform-Ökonomie: Wie beurteilt das Bundesministerium die Entwicklungen?
Das BMWi erkennt die Plattform-Ökonomie als das an, was sie ist: das zentrale Geschäftsmodell der Digitalwirtschaft sowie ein mächtiger Wachstums- und Produktivitätstreiber.Zitat:
"Um diese Transformation zu schaffen, müssen wir Digitale Plattformen und Plattformstrategien in die eigenen Volkswirtschaften einbetten. Plattformen zwingen bestehende Unternehmen, über die Zukunftsfähigkeit ihres Geschäftsmodells nachzudenken."
Als Beispiel nennen die Verfasser die Automobil-Industrie: Digital-Konzerne wie Google wagen einen neuen Ansatz, indem sie batteriebetriebene, autonom fahrende Fahrzeuge mit Big Data verschmelzen.
Gelingt es deutschen und europäischen Autobauern nicht, ähnlich innovativ zu sein, könnten sie eines Tages zu reinen Fahrzeugzulieferern verkümmern.
Wie will das BMWi die hiesige Plattform-Ökonomie ankurbeln?
(Network unter CC0 1.0) |
Die geschilderten Ansätze für Deutschland klingen zunächst vielversprechend:
➧ Behördliche Verfahren vereinfachen, um gesunden Wettbewerb zu ermöglichen.
➧ Einfache Investitionsmöglichkeiten bieten, um neue Technologien zügig einsetzen zu können.
➧ Leistungsfähige Gigabit-Netze und eine demokratische Digitalkultur verwirklichen.
Beim Lesen des Weißbuches wird deutlich: Das BMWi sieht die größten Chancen darin, das Digitale mit klassischen deutschen Wirtschaftsstärken zu verschmelzen (Produktion, industrienahe Dienstleistungen, Ingenieurs- und Handwerkskultur).
Zitat:
"Sie [traditionelle deutsche und europäische Unternehmen] müssen bestehende Produktportfolios und Kundenkontakte mit den Netzwerkeffekten einer Plattform kombinieren. So entsteht ein eigenes Ökosystem für zusätzliche Wertschöpfung – mit neuen Technologien, neuen Kundenschnittstellen, neuen Partnern und vor allem neuen Diensten."
Das Ganz gipfelt in einer "Digitalen Strategie 2025" (Auswahl):
➧ 1. Ausreichende Gigabit-Netze für Deutschland bis 2025 (inkl. flächendeckender, rechtssicherer WLAN-Hotspots).
➧ 2. Neue Gründerzeit einleiten (Start-ups unterstützen, Finanzierung verbessern, junge und etablierte Unternehmen zusammenbringen).
➧ 3. Ordnungsrahmen für mehr Investitionen und Innovationen bieten.
➧ 4. Neue Geschäftsmodelle für kleine und mittelständische Unternehmen, Handwerk und Dienstleistungen verwirklichen.
➧ 5. Mit Industrie 4.0 den Produktionsstandort Deutschland modernisieren.
➧ 6. Forschung, Entwicklung und Innovation bei digitalen Technologien auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen.
➧ 7. Digitale Bildung in allen Lebensphasen fördern.
➧ 8. Klaren Rechtsrahmen für die Daten-Nutzung setzen.
➧ 9. Gründung einer Digital-Agentur, die den Digitalisierungsprozess unterstützt und bei Verstößen rasch eingreift.
Von einem Digital-Ministerium rät das Weißbuch ausdrücklich ab – was ich für einen kapitalen Fehler halte: Gerade jetzt braucht es gebündeltes Know-how und keine bremsenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Ministerien.
Europas Plattform-Ökonomie: Transformation statt Disruption?
(Digitization unter CC0 1.0) |
Das Weißbuch des BMWi konnotiert den Begriff der Disruption negativ...
...Zitat:
"Verstehen und fördern wir die Digitalisierung als Disruption, also als Zerstörung des Bestehenden? Oder wollen wir einen Transformationsprozess, durch den die bestehende Wirtschaft mit der schöpferischen Kraft digitaler Mittel und Geschäftsmodelle moduliert und modernisiert wird? Wir wollen einen Transformationsprozess und keine Disruption."
Kritik meinerseits an dieser Stelle: Disruption ist in meinen Augen etwas Positives und sollte als schöpferische Zerstörung nicht "verhindert" werden. Ganz abgesehen davon, dass sie sich ihren Weg so oder so bahnt, wenn die Zeit reif ist:
DVD und Blu-Ray lösten die VHS-Kassette nicht deshalb ab, weil von zentraler Stelle ein Transformationsprozess "verordnet" wurde. Ausschlaggebend war, dass Endverbraucher mehrheitlich vom leichteren Handling und der deutlich besseren Bildqualität überzeugt waren.
Und auch ein Unternehmen wie der digitale Wohnraumvermittler Airbnb konnte nur deshalb reüssieren, weil Millionen User das Angebot begeistert annehmen. Ganz ohne konzertierten Transformationsprozess.
Fazit: Wie ist das Digitalisierungs-Weißbuch des Bundesministeriums einzuschätzen?
(Thumbs unter CC0 1.0) |
Es wird deutlich: Plattform-Ökonomie und Wirtschaft 4.0 sind mit all ihren wichtigen Aspekten und Auswirkungen in der Politik angekommen. Wenn Deutschland und Europa künftig wirtschaftlich global wettbewerbsfähig bleiben wollen, haben wir einiges aufzuholen.
Das Weißbuch des BMWi zeigt meiner Meinung nach jedoch einen typisch deutschen Konflikt auf:
➧ Man möchte fortschrittlich und innovativ sein…
➧ ...den Weg dorthin aber mit Bürokratie zupflastern...
➧ ...sowie jede Eventualität und Unsicherheit im Voraus planen und kontrollieren.
"Ordnungsrahmen", "Kontrollen", "Behörden", "Verstöße" – die typisch deutsche Angst soll mit dem altbekannten Reglementierungswahn beruhigt werden. Sorry, aber das bremst massiv!
Bitte richtig verstehen: Macht braucht Kontrolle, keine Frage. Doch Unternehmen wie Google oder Airbnb wurden auch deshalb so erfolgreich, weil sie sich relativ frei entwickeln konnten. In Deutschland – behaupte ich – wären sie als Start-ups nicht weit gekommen.
So lautet mein Fazit zum Weißbuch "Digitale Plattformen" des Bundesministeriums: alles richtig erkannt, prinzipiell die richtige Richtung eingeschlagen – aber statt Gas zu geben, wird hier der Tempomat von vornherein bürokratisch auf ein Limit von 45 km/h eingestellt...
...zu langsam für den Daten-Highway globaler wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.
Lasst es mich wissen: Wie schätzt ihr die zukünftige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ein?
Link-Tipps:
- bmwi.de: Themenseite "Digitale Plattformen"
- Weißbuch "Digitale Plattformen": Digitale Ordnungspolitik für Wachstum, Innovation, Wettbewerb und Teilhabe (komplett)
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