Klimawandel: Ist die Digitalisierung Treiber oder Heilsbringer?

"Klimaeffekte der Digitalisierung 2.0 – Studie zur Abschätzung des Beitrags digitaler Technologien zum Klimaschutz in Deutschland": So lautet die gemeinsame 2024er-Untersuchung des IT-Branchenverbandes Bitkom und des Beratungshauses Accenture. Einige der spannenden Ergebnisse habe ich für euch zusammengefasst.


CO₂-Einsparpotenziale nach Branchen bezogen auf Deutschlands Klimaziel 2030: Energie, Gebäude, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr.
CO₂-Einsparpotenziale nach Branchen (in Anlehnung an Bitkom/Accenture)

Wer steht hinter der Digitalisierungs-Studie zum Thema Klimawandel?

Wikipedia, übernehmen Sie:

"Der Bitkom e. V. [...] ist der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche. [...]. Als Interessenverband vertritt er mehr als 2200 Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft, [...]. Zu den Mitgliedern zählen mehr als 1000 Mittelständler, über 500 Startups und nahezu alle Global Player. [...]. 82 Prozent der Mitglieder haben ihren Hauptsitz in Deutschland, acht Prozent kommen aus dem restlichen Europa, sieben Prozent aus den USA und drei Prozent aus anderen Regionen."

"Die Accenture Plc [...] mit Sitz im irischen Dublin ist einer der weltweit größten Dienstleister im Bereich der Unternehmens- und Strategieberatung sowie Technologie und Outsourcing, mit etwa 733.000 (2023) Mitarbeitern."

Was untersuchte die Studie bezogen auf Klimawandel und Digitalisierung?

Die Studie nennt folgende Ausgangslage: Bis 2030 muss Deutschland gemäß Klimaschutzgesetz gegenüber 2022 308 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. [Anm. eures Bloggers: Laut dieser Tagesschau-Grafik sind es 305,6 Millionen Tonnen]. Ziel sei es, dass Deutschland im Jahr 2030 höchstens 440 Millionen Tonnen CO₂ emittiert (2022 waren es rund 746 Millionen Tonnen, 2023 noch 673 Millionen Tonnen).

Die Bitkom-/Accenture-Untersuchung will beziffern, wie viel digitale Technologien dazu beitragen können, diese CO₂-Einsparungen zu erzielen. Die Analyst*innen berücksichtigten dabei drei Faktoren:

1. Digitalisierungs-Geschwindigkeit: Wie schnell und wie umfangreich setzen Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen digitale Technologien bis 2030 um? Unterschieden wird dabei zwischen "Standard" und "beschleunigt".

2. CO₂-Projektionen: Wie entwickeln sich der Strom-Emissionsfaktor und der Brutto-Stromverbrauch der untersuchten Branchen?

3. Und: Wie hoch ist der CO₂-Ausstoß von digitalen Technologien, wenn diese hergestellt und genutzt werden?

Das Ergebnis der Studie: Das CO₂-Einsparpotenzial digitaler Technologien sei "netto-positiv". Heißt: Digitale Technologien sparen in den untersuchten Branchen mehr CO₂ ein, als sie selbst emittieren. 

Je nach Szenario sprechen die Analyst*innen von einem CO₂-Netto-Einsparpotenzial zwischen 43 und 80 Millionen Tonnen. Das wären rund 14 bis 26 Prozent des Gesamt-Minderungsziels in Höhe von 308 Millionen Tonnen CO₂ bis 2030. Dabei gelte: Je schneller digitalisiert wird, desto größer die CO₂-Einsparungen. 

Schauen wir uns das in der Bitkom-/Accenture-Studie genannte CO₂-Einsparpotenzial digitaler Technologien für folgende fünf Branchen an:

  1. Energie
  2. Gebäude
  3. Industrie
  4. Landwirtschaft
  5. Verkehr

Auf geht's:

CO₂-Reduktion durch Digitalisierung: 1. Der Energie-Sektor

Laut der Bitkom-/Accenture-Studie können im Energie-Sektor digitale Technologien bis zu 8,7 Prozent der für das Klimaziel 2030 benötigen CO₂-Einsparmenge beitragen.

➤ Digitale Technologie helfen, mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu gewinnen.

➤ Smart Grids sind intelligente Stromnetze, die Energie-Infrastrukturen digitalisieren und automatisieren. Durch Sensoren und Echtzeit-Daten gleichen sie dynamisch Energie-Angebot und Energie-Nachfrage aus und optimieren so die Energieversorgung.

➤ Künstliche Intelligenz (KI) – genauer: Maschinelles Lernen (ML) – optimiert und steuert diese Smart-Grid-Systeme. ML analysiert große Mengen an Netzdaten, um 

  • Muster zu erkennen, 
  • Prognosen zu erstellen, 
  • automatisiert das Netz zu optimieren 
  • und Störungen zu beheben (Predictive Maintenance, "vorausschauende Wartung").

➤ Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) bezeichnet Technologien, die physische Objekte ("Dinge") online-fähig und digital vernetzbar machen. Im Energie-Sektor arbeiten entsprechende Technologien in Sensoren und Aktoren (antriebstechnische Baueinheiten), um die benötigten Daten zu sammeln.

CO₂-Reduktion durch Digitalisierung: 2. Der Gebäude-Sektor

Laut der Bitkom-/Accenture-Studie können im Gebäude-Sektor digitale Technologien bis zu 9,4 Prozent der für das Klimaziel 2030 benötigen CO₂-Einsparmenge beitragen.

➤ Mehr als 50 Prozent der CO₂-Gesamtemissionen im Gebäude-Sektor entfallen aktuell auf die Raumwärme in Wohngebäuden. Etwa 27 Prozent macht die Raumwärme in Nichtwohngebäuden aus. Weitere 18 Prozent entfallen auf deren Beleuchtung und Klimakälte (Klima-Anlagen).

➤ Vernetzte Gebäude arbeiten mit Thermostaten oder Sensoren, die mit Steuerungssystemen verbunden sind. Sie erfassen den Energieverbrauch digital, um ihn automatisiert zu regeln.

➤ Intelligente Beleuchtung spart Strom, indem sie automatisiert regelt, wie lange und wie intensiv Licht brennt.

➤ Internet-der-Dinge-Technologien (Internet of Things, IoT) vernetzen Maschinen und Geräte, um Echtzeitdaten der Gebäude zu sammeln und zu untersuchen.

CO₂-Reduktion durch Digitalisierung: 3. Der Industrie-Sektor

Laut der Bitkom-/Accenture-Studie können digitale Technologien im Industrie-Sektor bis zu 4,8 Prozent der für das Klimaziel 2030 benötigen CO₂-Einsparmenge beitragen.

➤ Automatisierung im Industrie-Sektor nutzt Robotertechnik, Sensoren und digitale Steuerungssysteme, um Produktions-Prozesse zu verbessern. Robotik automatisiert unter anderem Montage, Verpackung und Transport.

➤ Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) und Machine-to-Machine-Technologie (M2M, Informationsaustausch zwischen Endgeräten) vernetzen Maschinen, um Echtzeitdaten industrieller Prozesse zu sammeln, zu untersuchen und zwischen Geräten auszutauschen.

➤ Künstliche Intelligenz (KI) – genauer: Maschinelles Lernen (ML) – nutzt Algorithmen, um Maschinen und Geräte vorausschauend instandzuhalten (Predictive Maintenance), die Qualität zu kontrollieren und industrielle Prozesse zu optimieren. 

➤ "Digitale Zwillinge" sind digitale Kopien physischer Objekte und Prozesse. Ziel ist es, durch virtuelle Testläufe Wiederholungen in den physischen Prozessen zu vermeiden und diese zu optimieren.

➤ Augmented Reality (AR, wörtlich "erweiterte Realität") verbindet die digitale und die physische Welt, indem sie es Nutzer*innen ermöglicht, digitale Zwillinge zu visualisieren und virtuell mit ihnen zu interagieren.

CO₂-Reduktion durch Digitalisierung: 4. Der Landwirtschafts-Sektor

In der Landwirtschaft können laut der Bitkom-/Accenture-Studie digitale Technologien bis zu 2,2 Prozent der für das Klimaziel 2030 benötigen CO₂-Einsparmenge beitragen.

➤ Düngung, Kalkung (Kalksteinmehl, das die Säuren im Boden neutralisiert) und tierische Verdauungsprozesse emittieren aktuell viel CO₂: 36 Prozent entfallen auf die Bodenbewirtschaftung, 64 Prozent auf die Nutztierhaltung.

➤ Die intelligente Bodenbewirtschaftung düngt und kalkt teilflächenspezifisch, um landwirtschaftliche Ressourcen effizienter zu nutzen. 

➤ Datenerfassungs-Systeme wie Drohnen, Sensoren und Satellitenbilder sammeln Informationen zu den landwirtschaftlichen Flächen. Analytik-Systeme werten diese aus, um zu berechnen, wie viel Einsatzmittel benötigt werden.

➤ Intelligente Nutztierhaltungs-Systeme überwachen den Zustand der Tiere und optimieren die Fütterung, was wiederum die CO₂-Emissionen aus dem Verdauungsprozess verringert.

CO₂-Reduktion durch Digitalisierung: 5. Der Verkehrs-Sektor

Im Verkehrs-Sektor können digitale Technologien laut der Bitkom-/Accenture-Studie bis zu 3,0 Prozent der für das Klimaziel 2030 benötigen CO₂-Einsparmenge beitragen.

➤ Der Straßenverkehr macht 97,7 Prozent der CO₂-Emissionen des Verkehrs-Sektors aus, weshalb sich die Studie auf den Pkw- und Lkw-Verkehr konzentriert.

➤ Wenige CO₂-Einsparpotenziale brächte das Car-Sharing, da dessen Marktdurchdringung bis 2030 sehr gering ausfalle.

➤ Anders die Routenoptimierung: Sie zeigt Autofahrer*innen basierend auf Echtzeit-Verkehrsdaten die effizienteste Streckenführung. Seit 2021 ermöglicht es die Google-Maps-App ihren Nutzer*innen, kraftstoffsparende Routen zu wählen. In den ersten zwei Jahren seit ihrer Einführung in Nordamerika habe diese Funktion CO₂e-Emissionen in Höhe von 100.000 stillgelegten Autos eingespart. [Anm. eures Bloggers: CO₂e ist eine Maßeinheit für CO₂-Äquivalente bzw. für unterschiedliche Treibhausgase].

➤ Internet-der-Dinge-Technologien informieren im Verkehrs-Sektor in Echtzeit über Fahrzeug und Ladung, um den Kraftstoffverbrauch zu optimieren.

Digitalisierung @ Klimawandel: Die Chancen – die Risiken 

Soweit einige Ergebnisse der spannenden Bitkom-/Accenture-Studie. 

Die hoffnungsvollen Prognosen sollen nicht verschleiern, dass die Digitalisierung selbst einen deutlich erhöhten Stromverbrauch mit sich bringt: Die Zahl der Rechenzentren in Deutschland und Europa steigt laut dem Statistik-Portal Statista immer weiter. 

Ein Risiko besteht ebenso durch sogenannte Rebound-Effekte (wörtlich "Rückprall-Effekte", auch "Bumerang-Effekte" genannt): Optimiert zum Beispiel der Landwirt dank digitaler Technologien seine Nutztierhaltung, veranlasst ihn dies eventuell, sich weitere Nutztiere anzuschaffen – was wiederum die vorherigen CO₂-Einsparungen zunichtemachen kann.

Jedoch betont auch Statista, dass das CO₂-Netto-Einsparpotenzial durch digitale Technologien unterm Strich ein positives sei.

Wie immer hängt es davon ab, was der Mensch daraus macht. Die Frage bleibt: Ist die deutsche Wirtschaft fähig und willens, bei ihrer digitalen Transformation grüne Ziele schwerpunktmäßig und aus Überzeugung zu berücksichtigen?

Quellen:

Link-Tipp:

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