Marketing-Zielgruppen: Warum es kein "B2B-Gehirn" gibt
Wenn Privatpersonen die Zielgruppe eines Unternehmens sind, spricht man von Business-to-Consumer (kurz B2C). Hat ein Unternehmen hingegen keine Privatpersonen, sondern andere Unternehmen als Zielgruppe, sind wir in der B2B-Welt (Business-to-Business). So sehr sich B2C und B2B hinsichtlich der Marketing-Inhalte und -Kanäle unterscheiden: Das limbische System der jeweiligen Zielgruppen ist dasselbe. Kaufentscheidungen werden auch in einem B2B-Buying-Center mehrheitlich unbewusst-emotional getriggert.
Limbische Typologie der Entscheider*innen in einem B2B-Buying-Center (in Anlehnung an Häusel) |
Mitunter hält sich immer noch der Irrglaube, Menschen würden in einem
beruflichen Kontext rein rational denken und handeln. Hirnforscher wie
Hans-Georg Häusel verneinen das: Es gibt keinen B2B-Schalter im Kopf. Auch im
Job entscheiden wir mehrheitlich unbewusst und rationalisieren unsere
Entscheidungen nachträglich.
Die Fehlannahme eines rein rationalen "B2B-Gehirns" zeigt sich auch bei der Wortwahl vieler B2B-Marketingbotschaften. Es fallen gerne Begriffe wie:
- performant
- kosteneffizient
- ergonomisch
- innovativ
- skalierbar
- flexibel
- kompatibel
- interoperabel
- usw.
Problem laut Hirnforscher Häusel: Solche Wortwelten triggern keine Emotionen im limbischen System – entsprechend verpufft ihre Wirkung.
Typische B2B-Begriffe spiegeln auf der Inhaltsebene aber dennoch die drei Elemente des limbischen Systems wider: Dominanz, Balance und Stimulanz.
➤ Dominanz: Leistung und Präzision sprechen das limbische Dominanz-Segment im Gehirn an.
➤ Balance: Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Ergonomie triggern das Balance-Areal im limbischen System.
➤ Stimulanz: Von Flexibilität, Design und Innovation fühlt sich der limbische Stimulanz-Bereich angesprochen.
Neben dieser Gemeinsamkeit gibt es einen gravierenden Unterschied zur
B2C-Welt: An B2B-Kaufprozessen sind häufig mehrere, teils sehr
unterschiedliche Persönlichkeitstypen beteiligt.
B2B-Marketing: Das Buying Center
Unterschiede von B2C- und B2B-Kaufprozessen auf einen Blick:
B2C- und B2B-Kaufprozesse in der Gegenüberstellung: Gemeinsamkeiten und Unterschiede |
Im B2C-Bereich muss das Marketing Einzelpersonen überzeugen, ...
... während sich das B2B-Marketing häufig mit einem
Buying Center konfrontiert sieht (zu Deutsch sinngemäß
"Einkaufs-Gremium").
Für das B2B-Marketing gilt: Mehrere Personen aus verschiedenen Abteilungen sind an der Kaufentscheidung beteiligt. Üblicherweise unterscheidet man in einem Buying Center folgende Rollen:
➤ Anwender*innen (User): die Personen im Unternehmen, die operativ mit dem einzukaufenden Produkt bzw. Service arbeiten sollen.
➤ Einkäufer*innen (Buyer): die Personen im Unternehmen, die Angebote einholen und preislich beurteilen.
➤ Meinungsbildner*innen (Influencer): Personen, die nicht der Geschäftsführung angehören und auch keine Anwender sind, deren Meinung aber hohes Gewicht hat (zum Beispiel Vertreter*innen aus den Fachbereichen).
➤ Entscheider*innen (Decision Maker): die letzte Instanz, wenn es um
eine Kaufentscheidung geht (meist die Geschäftsführung).
Eine limbische Challenge namens Buying Center
Bei einem durchschnittlich zusammengesetzten Buying Center hat man limbisch betrachtet teils entgegengesetzte Entscheidungs-Typen an einem Tisch sitzen.
➤ Beispiel: Eine hochpreisige Produkt-Neuanschaffung kann die Entwicklungsleiterin erfreuen (Stimulanz-System), dem Einkäufer aber Angst machen (Balance-System).
Hirnforscher Häusel schlägt deshalb folgende limbische Typologisierung des Buying Centers vor. Dies auch als Steilvorlage für Marketing und Vertrieb, um den entsprechenden Personen die richtigen Botschaften senden zu können:
- Die Bequemen
- Die Innovativen
- Die Performer*innen
- Die Bewahrer*innen
Vorhang auf:
➤ 1. Die Bequemen: Sie wünschen sich ein sorgenfreies Berufsleben und bevorzugen langjährige Geschäftsbeziehungen. Recherche ist ihnen zu anstrengend.
Limbisch unbewusster Trigger ist das Balance-System: "Trägst du zu meiner Sicherheit, Ruhe, Stabilität bei?"
Laut Häusel funktionieren bei diesen Buying-Center-Mitgliedern folgende Marketing-/Vertriebs-Botschaften:
- "Wir machen das für Sie"
- "Sie brauchen sich um nichts kümmern"
- "Wir legen viel Wert auf den persönlichen Kontakt zu unseren Kunden"
➤ 2. Die Innovativen: Sie suchen und lieben das Neue. Preisliche
Fragen sind zweitrangig. Fachlich sind sie meistens sehr gut informiert.
Limbisch unbewusster Trigger ist das Stimulanz-System: "Verschaffst du mir neue lustvolle Reize und Erlebnisse?"
Für entsprechende Buying-Center-Mitglieder passende Marketing-/Vertriebs-Botschaften laut Häusel:
- "Wir bieten völlig neue Technologien"
- "Wir arbeiten für innovative Unternehmen"
➤ 3. Die Performer*innen: Sie wollen den eigenen Erfolg und den
Erfolg des Unternehmens – alles muss effizient und messbar sein. Sie mögen
intensive Preisverhandlungen.
Limbisch unbewusster Trigger ist das Dominanz-System: "Lässt du mich mächtiger und stärker werden?"
Für entsprechende Buying-Center-Mitglieder passende Marketing-/Vertriebs-Botschaften laut Häusel:
- "Das erhöht Ihren Wettbewerbsvorsprung"
- "Sie werden entlastet und haben Zeit für wichtigere Dinge"
- "Als Anbieter/Dienstleister sind wir Marktführer"
➤ 4. Die Bewahrer*innen: Sie lehnen Veränderungen ab und sind
äußerst misstrauisch. Finanzielle Risiken sind für sie Teufelswerk.
Limbisch unbewusster Trigger ist wie bei den Bequemen das Balance-System: "Trägst du zu meiner Sicherheit, Ruhe, Stabilität bei?"
Für entsprechende Buying-Center-Mitglieder passende Marketing-/Vertriebs-Botschaften laut Häusel:
- "Wir geben langjährige Garantien"
-
"Wir sind ein Traditionsunternehmen"
B2B-Kaufentscheidungen: Alles andere als rational
Ein menschliches Gehirn ist ein menschliches Gehirn. Wir entscheiden auch in beruflichen Dingen mehrheitlich unbewusst und rationalisieren unsere Entscheidungen nachträglich.
Deshalb gibt es kein "B2B-Oberstübchen" – wohl aber Besonderheiten, die das B2B-Marketing berücksichtigen muss: Man hat es bei der Kundengewinnung nicht mit einem einzigen limbischen Typus zu tun, sondern mit mehreren gleichzeitig.
Die genannten, teils sehr unterschiedlichen Botschaften müssen so geschickt miteinander verwoben werden, dass die Message harmonisch wie aus einem Guss wirkt. Mit dem Ziel, dass sich Bequeme, Innovative, Performende und Bewahrende gleichermaßen abgeholt fühlen.
Wenn ihr mich fragt: Das klingt nach einer äußerst spannenden und reizvollen Content- und Targeting-Challenge. ;-)
Quelle:
- Hans‑Georg Häusel: Think Limbic!
Link-Tipps:
Kommentare