Kaufverhalten entschlüsselt: So entscheiden Kunden wirklich (1)

Unter dem Titel "Decoding Decisions: Making sense of the messy middle" veröffentlichte Google 2020 eine hochspannende Studie. Thema: Wie treffen Konsumenten im Digitalisierungs-Zeitalter ihre Kaufentscheidungen? Dieser erste Teil meines Blog-Beitrages fasst die Ergebnisse zusammen.

Das Kaufverhalten von Privatpersonen entschlüsselt
(Button / Pixabay-Lizenz)

Zentral für Kaufentscheidungen sei das, was die Studie "messy middle" nennt (sinngemäß "die chaotische Mitte"). Im Detail:

Erkenntnis Nr. 1: Vorbei die Zeiten des (bildhaften) Verkaufstrichters, der schrittweise aus unverbindlichen Interessenten die tatsächlichen Käufer filtert. Die Kundenreise (vom ersten Angebots-Kontakt bis zum Kauf und darüber hinaus) beginnt mittlerweile an unterschiedlichsten Angebots-Berührungspunkten (Touchpoints) – und sieht bei jedem Konsumenten anders aus.

Erkenntnis Nr. 2: Die faktische Kaufentscheidung fällt in der "chaotischen Mitte" (messy middle) der Kundenreise. Hier wechseln Interessenten permanent zwischen 
  • einem "Erforschungsmodus" (sie informieren sich ausgiebig zu einem Angebot)
  • und einem "Bewertungsmodus" (sie gewichten diese Informationen und bewerten das Angebot).

Das "messy middle" Modell von Google
Ständig wechselnd zwischen den Modi "Erforschen" und "Bewerten", treffen Kunden ihre Kaufentscheidung in der "messy middle". (Quelle: Google)


Kaufverhalten: Die Rolle der kognitiven Verzerrung

Wikipedia sagt: "Kognitive Verzerrung (englisch cognitive bias [...]) ist ein [...] Sammelbegriff für systematische fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst und basieren auf kognitiven Heuristiken [...]."

Wikipedia ergänzt: "Heuristik [...] bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen."

Diese kognitive Verzerrung (Bias) beeinflusst auch das Urteil von Konsumenten: Zwar glauben wir, Herr/Frau unserer Entscheidungen zu sein, jedoch läuft das meiste davon nicht bewusst, sondern unbewusst ab. Wir rationalisieren unsere Entscheidungen nachträglich, nachdem wir uns unbewusst entschieden haben (Buchtipp hierzu: "Schnelles Denken, langsames Denken" von Nobelpreisträger Daniel Kahneman).

Das ist keine "Fehlfunktion" unseres Gehirns, sondern evolutionär durchaus sinnvoll: Würden wir täglich jede unserer Handlungen (z. B. jeden Handgriff und jede Fußbewegung beim Autofahren) bewusst durchdenken, wären wir in kürzester Zeit komplett erschöpft. Unser Gehirn will energiesparend arbeiten – deshalb sucht es Möglichkeiten, auf "Auto-Pilot" zu schalten.

Auch bei Kaufentscheidungen unterliegen wir der kognitiven Verzerrung, die uns ein Produkt- oder Service-Angebot nicht objektiv-rational, sondern subjektiv-emotional sehen lässt. Die Google-Studie nennt sechs Arten:

6 Arten der kognitiven Verzerrung, welche die Kaufwahrscheinlichkeit beeinflussen

1. Soziale Bestätigung: Empfehlungen und Bewertungen anderer Nutzer.

2. Produktmerkmale: Spezielle Produkt-Kriterien, die dem Konsumenten besonders wichtig sind.

3. Bonus-Zugabe: Eine kostenlose Zugabe, selbst wenn diese keinen Bezug zum gekauften Produkt hat.

4. Expertenurteil: Bewertungen von Fachleuten bzw. von vertrauenswürdig wirkenden Institutionen sowie Gütesiegel.

5. Sofortige Verfügbarkeit: kurze Lieferzeiten bzw. direkter Zugang.

6. Verknappung: Angebot ist zeitlich oder mengenmäßig begrenzt verfügbar.

Alle sechs Faktoren können dazu führen, dass ein Kunde ein Produkt oder einen Service optimaler sieht als diese es möglicherweise tatsächlich sind.

Entschlüsseltes Kaufverhalten: Das Feld-Experiment...

Das Forscherteam von Google simulierte einen Online-Shop:

Die Teilnehmer des Experimentes mussten sich immer zwischen zwei Produkten entscheiden und das in sechs Kategorien (Jeans, TV-Geräte, Kinderspielzeug, Feuchtigkeitscreme, Sofas, Laufschuhe).

Die Teilnehmer sollten vorab in jeder Kategorien ihre Lieblingsmarke sowie ihre zweitliebste Marke nennen.

Anhand dieses Settings untersuchte das Google-Team, ob und wenn ja, wie die sechs eingesetzten Arten der kognitiven Verzerrung dazu führten,
  • dass die Teilnehmer nicht ihre Lieblingsmarke bevorzugten,
  • sondern eine andere, anfangs nicht bevorzugte Marke (darunter auch eine nicht real existierende "Fantasie-Marke"). 

...und seine Ergebnisse

Haupt-Erkenntnis: Die subjektive Wahrnehmung von Käufern entspricht nicht immer ihrem tatsächlichen Handeln. Obwohl die Teilnehmer mehrheitlich angaben, dass Produktmerkmale ihre Kaufentscheidung am stärksten beeinflussen würden, handelten sie anders:

Faktisch war über alle Produkt-Kategorien hinweg der Aspekt "soziale Bestätigung" (Empfehlungen und Bewertungen anderer Nutzer) am einflussreichsten. In der Übersicht:

Was gesagt wurde, was wichtig sei:
  • 27,8 % Produktmerkmale
  • 20,2 % soziale Bestätigung
  • 18,6 % Marke
  • 9,6 % sofortige Verfügbarkeit
  • 9,6 % Verknappung
  • 9,4 % Expertenurteil
  • 4,8 % Bonus-Zugabe

Was tatsächlich wichtig war:

  • 25,9 % soziale Bestätigung
  • 20,3 % Marke
  • 16,9 % Produktmerkmale
  • 12,9 % Bonus-Zugabe
  • 12,2 % Expertenurteil
  • 7,2 % sofortige Verfügbarkeit
  • 4,7 % Verknappung

Heißt für das Marketing: Wer die richtigen Bias-Faktoren optimiert, kann die Kaufentscheidungen seiner Zielgruppe deutlich zu seinen Gunsten beeinflussen – selbst als anfangs "unterlegene" Marke.

Checkliste: So sorgt ihr für eine höhere Kaufwahrscheinlichkeit

➔ Soziale Bestätigung: Kontrolliert, managt und fördert (authentische!) User-Bewertungen eurer Produkte bzw. Services. Hebt positive Reviews deutlich hervor. Verzichtet auf gekaufte Fake-Bewertungen.

➔ Produktmerkmale: Stellt die entscheidendsten Merkmale eurer Produkte bzw. Services prominent dar.

➔ Bonus-Zugabe: Bietet Gratis-Goodies und bewerbt diese.

➔ Expertenurteil: Arbeitet mit (renommierten und vertrauenswürdigen) Siegeln und Urteilen von Fachleuten.

➔ Sofortige Verfügbarkeit: Bietet besonders kurze Lieferzeiten bzw. sofortige Zugänge und kommuniziert dieses Plus deutlich.

➔ Verknappung: Kommuniziert die (zeitliche oder mengenmäßige) Knappheit eures Angebotes prominent.

Entschlüsseltes Kaufverhalten: Weitere spannende Details in Teil 2

Soweit die Kurzfassung der Ergebnisse der Google-Studie "Decoding Decisions: Making sense of the messy middle". Im zweiten Teil von "Kaufverhalten entschlüsselt: So entscheiden Kunden wirklich" präsentiere ich euch weitere spannende Einzelheiten.

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